Tonlose Schule

Wegen LehrerInnenmangels: Eltern aus dem Schanzenviertel organisieren und bezahlen den Musikunterricht für ihre Kinder  ■ Von Sandra Wilsdorf

An der Schule Altonaer Straße organisieren und bezahlen Eltern den Musikunterricht ihrer Kinder, weil die Schule es nicht tut. „Wir haben hier eine Musiklehrerin für 450 Kinder“, sagt Anne Vertein, deren Tochter in die zweite Klasse der Grund-, Haupt- und Realschule im Schanzenviertel geht. Weil außerdem die Staatliche Jugendmusikschule jahrelange Wartelisten hätte, haben nun die Eltern eingegriffen: Zunächst haben sie die Kinder gefragt, wer welche Instrumente lernen möchte. Flöte, Saxophon, Gitarre und vor allem Klavier sind dabei herausgekommen. Die Eltern haben entsprechende MusikerInnen und MusikpädagogInnen engagiert, für den Unterricht, dürfen sie Räume und Instrumente der Schule nutzen. Flötenunterricht kostet 45 Mark im Monat, Geige, Gitarre, Keyboard 60 und Klavier 90 Mark. Wer mehr zahlen kann, tut das, damit auch die Kinder Musik machen können, deren Eltern sich den Beitrag nicht leisten können.

55 SchülerInnen machen schon mit, weitere stehen auf der Warteliste. „Das Projekt ist eine ganz großartige Sache“, findet Schulleiter Jürgen Seemann. Dass nur eine Musiklehrerin für 450 SchülerInnen zuständig ist, erklärt er damit, dass eine zweite Kollegin im Sabbatjahr ist. Außerdem ist Musik ein sogenanntes Mangelfach.

Das mag daran liegen, dass die nötige Ausbildung eher zum Künstler als zum Pädagogen prädestiniert. Stefan Kiss beispielsweise gibt den Kindern aus dem Schanzenviertel Geigen- und Klavierunterricht. Er studiert am Brahms-Konservatorium Geige und im Nebenfach Klavier. Sein erstes Instrument spielt er seit dem sechsten Lebensjahr, für die Aufnahmeprüfung musste er sich trotzdem über ein Jahr vorbereiten.

Ist seine Ausbildung beendet, darf er als Fachlehrer für seine Ins-trumente oder als privater Musiklehrer arbeiten. Für den Schuldienst hätte er an einer Musikhochschule studieren müssen – mit ebenso harten Aufnahmebedingungen.

Die Schulbehörde räumt ein: „Es stimmt: An Grund-, Haupt- und Realschulen gibt es einen Musiklehrer-Mangel“, sagt Norbert Rosenboom, Leiter des Personalreferats. Der würde durch Kooperationen mit der Jugendmusikschule kompensiert und dadurch, dass fachfremde, aber musikalische Kollegen einsprängen. Allerdings wird sich die Lage noch erheblich verschärfen, „deshalb denken wir darüber nach, wie wir Musikern den Quereinstieg in den Schuldienst ermöglichen können“. Eine erste Idee: MusikerInnen wie Kiss oder auch KirchenmusikerInnen hätten die ersten drei Jahre eine um fünf Stunden geringere Unterrichtsverpflichtung. In der Zeit müssten sie sich weiterbilden, um noch ein zweites Fach unterrichten zu können.

Auf behördliche Konzepte oder gar Gelder aber können die Eltern aus dem Schanzenviertel nicht warten: „Wir mussten jetzt etwas für unsere Kinder tun“, sagt Anne Vertein. Aber damit das Projekt dauerhaft weiterlaufen kann, ist der Verein dringend auf Spenden angewiesen.

Infos gibt die Stadtteilinitiative „amanda 58“ unter Tel.: 28419380.