Absolute Giganten

Wer zurückkommt, bleibt hier hängen: Yosuke Nakagawas angenehm unspektakulär erzählter Film „Departure“ handelt von drei Freunden an der Schwelle eines neuen Lebens und ihren letzten gemeinsam verbrachten Stunden

Okinawa, das muss ungefähr so sein wie Allgäu, Hunsrück oder Odenwald. Nach dem Schulabschluss sitzt man rum und redet vom Weggehen, in die Großstadt oder besser noch ins Ausland. Kazuya geht zum Studieren nach Tokio, Syusuke will Designer in London werden, und Masaru traut sich solche Träume erst gar nicht zu. „Wenn du zurückkommst, bleibst du hier hängen“, warnen sie sich gegenseitig, und Masaru nickt selbstbezichtigend unter seiner Strickmütze. Wo die Dinge so klar auf der Hand liegen, hat es keinen Sinn, noch viel länger darüber zu reden, und so trennen sich die drei Jungs in „Departure“ schon bald, um ihre letzte gemeinsame Nacht getrennt mit den ihnen jeweils wichtigen Dingen zu verbringen.

Wer also einen „Buddy-Film“ erwartet hat, mit Jungs, die trinkend, prügelnd und Sprüche klopfend die wichtige Initiation hinein in den Ernst des Lebens vollziehen, wird hier enttäuscht. Einzig Syusuke gerät in eine Rauferei, aber Syusuke ist sowieso ein spezieller Fall.

Am nächsten Morgen kommen sie nämlich am Hafen wieder zusammen, um ihn zu verabschieden: Syusuke geht nach London. Da ist der Film schon fast zu Ende. Auf einer Fähre sehen wir ihn nun davonschippern. „Willst du damit etwa nach London fahren“, spottet einer der Freunde, und in uns Zuschauern keimt ein schrecklicher Verdacht. War nicht auch bei uns in der Provinz das Reden davon wegzugehen viel wichtiger, als es tatsächlich zu tun? Sind nicht gerade die, die am weitesten wegwollten, am Ende im Betrieb des Vaters gelandet? In „Departure“ wird wenig geredet, dafür sind die Szenen umso sprechender. Die späten Straßen ohne Autoverkehr, die leeren Kneipen, kurz bevor sie geschlossen werden, die Paare im Hotelzimmer, die auf unterschiedliche Weise nicht recht zusammenkommen.

Das Thema in „Departure“ ist das altbekannte: der Aufbruch, die Schwelle, die letzten Stunden davor. Aber wo sonst oft eine Katastrophen-Dramaturgie eingesetzt wird, um den Übergang ins Erwachsenenleben als Katharsis gestalten zu können, lenkt Yosuke Nakagawas ruhiges Erzählen den Blick auf die stille Verletzlichkeit der Charaktere, deren unfertiges Vorbereitetsein, auf den zarten Moment, wo etwas zu Ende geht und die Fantasie noch nicht ausreicht, sich das als Verlust vorzustellen. So gibt es hier keine gekünstelten Aufregungen, keine surrenden Kamerafahrten, keine dröhnende Musik, kein bildhafter Drogenrausch, mit dem jugendliches Empfinden suggeriert würde.

Nakagawa scheint seine Einstellungen wie einst Ouzo auszuwählen – möglichst die einfachsten, in denen man den besten Blick auf die Figuren erhält mitsamt den Dingen, die sie umgeben. Es braucht zum Beispiel eine Weile, bevor man Masarus Gesicht wirklich sieht. Er, der sich aus Okinawa nicht wegtraut, hält seinen Blick meist etwas gesenkt, als wolle er auf diese Weise dem, was vor ihm liegt, noch eine Weile ausweichen. Wie sich das allmählich verändert, wie es dazu kommt, dass er am nächsten Morgen seinen Freunden mit erhobenem, wenn auch träumerischem Blick verkündet, es könne durchaus sein, dass er doch nach Tokio ziehe, das ist gewissermaßen das spektakulärste Ereignis des Films.

„Departure“ kann man sich getrost mehrfach anschauen, und immer wieder wird man im Beiläufigen Neues entdecken. Wahrscheinlich entfaltet die besondere Konzentration des Filmes beim zweiten Mal sogar noch größere Sogwirkung. Dabei zeigt er wirklich kaum mehr als einfach drei Jungs in ihrer letzten Nacht vor einem Aufbruch, der, was auch immer er bringt, vor allem eines bedeutet: Er bringt sie auseinander.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Departure“: Regie: Yosuke Nakagawa, mit: Keigo Heshiki, Haru Kawazu, Tomoyuki Otsuka, vom 28. 6. bis 11. 7., fsk, am Oranienplatz 2, Kreuzberg