Das Seufzen des Sisyphus

Mit der Zweiheit beginnt das Leiden an der Welt: Über Dualität und Differenz – das Wesen der Komik in den Filmen von Stan Laurel und Oliver Hardy. Sieben Bemerkungen zu den vier „Dick und Doof“-Filmen die, restauriert, wieder im Kino laufen

von GEORG SEESSLEN

1. Eines ist immer zugleich zu viel und zu wenig. Es ist da und weiß alles oder nichts. Das eine ist immer das Ganze und kann daher fast alles tun und nichts begreifen. Zwei hingegen ist nicht nur eines und noch eines. Zwei ist auch das gespaltene eine. Und noch mehr: das eine, dem ein anderes entwachsen ist, als Spiegel und Maske. Noch viel mehr: das eine, das mit sich selbst im andern zu sprechen beginnt: Stan Laurel & Oliver Hardy. Alles, was als Zweiheit vorkommt in der Welt, das sind auch Stan Laurel und Oliver Hardy, mal mehr, mal weniger: Mann und Frau, Erwachsener und Kind, Traum und Wirklichkeit, Körper und Seele, Freunde, Brüder, Doppelgänger, Lehrer und Schüler, Robinson und Freitag, Sender und Empfänger, Dummer August und Weißer Clown, Syntagma und Paradigma.

Mit der Zweiheit beginnt alles, das Denken und das Leiden sowieso. Erst dann kommt die Dreiheit. Die allerdings kann nicht einmal traurig sein, jedenfalls nicht ohne zugleich darüber zu spotten. Immer schon lacht der Dritte über die ersten beiden, lenkt Einheit und Zweiheit gegen die Welt. Nein, die Tragödie, das ist die Zweiheit. Weshalb wir uns, in der Regel, beim Betrachten eines Laurel-&-Hardy-Films, in einen imaginären Dritten verwandeln. Ich bin zwischen beiden, ihre Zärtlichkeit, die seltsame Musik ihrer Existenz, strömt ebenso durch mich wie ihr Leiden an sich und an der Welt. Ich bin der Dritte, der die zwei sieht und, wenigstens mit sich selbst, über sie spricht. Dieses Sprechen nimmt glücklicherweise die Form von Gelächter an, weshalb ich mich bei einem Laurel-&-Hardy-Film scheinbar konform verhalte. Hier dürfen wir ja nicht nur lachen. Wir sollen es tun. Und die meisten müssen es auch.

2. Der eine, Stan, ist klein und schmächtig. Alles an ihm und um ihn ist dementsprechend zu groß. Die Jacke, der Hut, die Hosen, selbst die Fliege, eine sonderbare Alternative zum Schlips seines Partners, mit dem der so anzüglich zu wedeln weiß. Wenn er lächelt, lächelt er für die Welt, als wollte er ihr sagen, dass das Glück im Einen liegt. Meist vergebens ist sein Versuch, die anderen für sich einzunehmen. Ganz glücklich und bei sich ist Stan nur, wenn ihm die Welt, wenn ihm sogar Ollie egal geworden ist. Die Wahrheit ist: Das eine kann, wenn überhaupt, nur in sich selbst Glück empfinden. Aber dann, wenn er ganz und gar eins ist, dann kann Stan Laurel mehr oder weniger alles, zum Beispiel Feuer mit einem Schnippen seines Daumens schlagen. Erst wundert sich Ollie nur darüber. Dann versucht er es ihm nachzumachen. Vergeblich. Und irgendwann, nein, nicht irgendwann, sondern genau dann, wenn er es nicht mehr wollen muss, dann gelingt es ihm. Und da verbrennt er sich fürchterlich die Finger, weil ihm ja immer die Wirklichkeit widerfährt. Besser kann man es nicht sagen, was es bedeutet, zwei zu sein.

3. Ollie ist, sagt man, zu dick, und alles an ihm geht in die Breite. Er macht seinen Hut, seine Jacke, sogar seinen Schlips breit. Wenn er lächelt, dann lächelt er, weil er glaubt, die Welt gewonnen zu haben. Seinem Triumph folgt fast immer die Niederlage. Er möchte mit den Damen, ganz wörtlich, anbandeln. Wenn es ihm gelungen ist, dann steht er auch schon vollkommen unter dem Pantoffel, was ihm indes Gelegenheit gibt, seine weibliche Seite herauszukehren. Stan, die Eins, kann geliebt werden, aber nicht lieben. Er entspricht eher einem Es, einer Qualität vor der Semiotik des Geschlechtlichen, daher geht von ihm kein zielgerichtetes Begehren aus. Ollie, die Zwei, will lieben, kann aber nicht geliebt werden. Höchstens betrogen, unterdrückt, ausgebeutet. Übrigens liebt ihn auch Stan nicht. Ollies Glück kommt, wenn er sich um jemanden kümmern kann, dann macht seine Breite Sinn. Eines seiner heimlichen Begehren ist es, eine Mutter zu werden. Zum Beispiel die Mutter von Stan, aber dieses Kind macht ihm da immer einen Strich durch die Rechnung. Nicht weil es „ungezogen“, also rebellisch gegen die gluckende Autorität wäre und nicht weil es sich als zu töricht erwiese. Sondern weil sich diese Zwei nicht so ohne weiteres um die Eins kümmern kann, denn dann müsste er sich vollständig in seiner Zweitheit finden.

4. Die Widersprüche sind schon an der Oberfläche abzulesen. Stan, dem alles schief geht, obwohl er nur so sein will, wie er ist, und Ollie, dem alles schief geht, weil er etwas außer sich sein will (ein respektables Mitglied der Gesellschaft, ein Objekt des Begehrens, ein Element der Kommunikation). Anpassung oder Natürlichkeit, die Zivilisation unterlaufen oder ihr voraneilen – es ist beides grundverkehrt. Keiner von ihnen hat die geringste Intention, gegen die Gesellschaft zu opponieren. Aggressionen entstehen nur durch ihr ständig verletztes Gerechtigkeitsempfinden, und sie entstehen durch das komplementär falsche Aussenden oder Empfangen von Signalen. So leben die beiden recht eigentlich in einem permanenten Kriegszustand.

Die Kette des Leidens läuft in der Zweiheit in der Regel so: Ollie versucht eine Maschine zu starten. Es geht nicht. Er versucht, sich um den Schaden zu kümmern (im schlimmsten Fall kommt er auf die fatale Idee, Stan dabei mit irgendeiner Aufgabe zu betrauen). Stan drückt einen Knopf, und es geschieht etwas Fürchterliches. Aber nicht für ihn, sondern für Ollie. Die Welt und ihre Grausamkeit kommt für die Eins daher in der Regel immer über die Zwei. Dass etwas, was Stan tut, etwas Falsches ist, kann er nur durch Ollie erfahren, etwa, wenn der ihn mit dem Hut traktiert oder in den Hintern tritt. Aber versteht nicht auch Ollie die Welt nur durch Stan? Stan macht die Differenz sichtbar, die Ollie so gern zwischen sich und der Welt geleugnet hätte.

5. Stan Laurel ist das Eine und Oliver Hardy das Andere. Deswegen ist es uns nur zu deutlich, auch wenn Ollies ganzer Lebensentwurf, seine ganze Rhetorik auf das Gegenteil hinauswill: Stan könnte ohne Ollie leben, aber Ollie niemals ohne Stan. Deswegen wird er ja nachgerade wiedergeboren, als Stan nach langen Jahren im Schützengraben – man hat vergessen ihm zu sagen, dass der Krieg zu Ende ist – zu ihm zurückkehrt. Stan ist das Eine, das nicht zur Welt kommen kann, Ollie das Andere, das niemals Eins werden wird. So möchte er uns immer weismachen, dass er sich um Stan kümmert, dass er ihn in irgendeiner Weise adoptiert hat, das er ihn leitet oder sogar beschützt (freilich hören da seine Fähigkeiten schon entschieden auf).

In Wahrheit ist Ollie von einem Gefühl bedroht, das Stan gar nicht kennt, von Einsamkeit. Oliver Hardy kann, zum Beispiel aus Liebeskummer, seufzen, das kann ihm Stan nur als leere Geste nachmachen. Immer wieder ist Stan der Findling und Fremdling, den Ollie an „seine“ Kultur assimilieren will. Aber gerade diese seine Kultur lässt ihn dabei schmählich im Stich. Ollie will Stan vormachen, wie es geht (wir lieben diese große Geste, mit der er weit ausholend auf sich selbst zeigt und dann zur Tat schreitet). Aber es geht nicht. Stan grinst oder schaut den anderen mit leerem Blick an. Er kratzt sich am Kopf, seine „Philosophie“ setzt ein – gerade weil er „doof“ ist, denkt er ja viel mehr als Ollie, der nur Überzeugungen hat. Dann macht er etwas Anderes. Dieses Andere offenbart den Abgrund zwischen beiden und ihrer Umwelt, den Ollie nicht wahrhaben will. Nun heißt es flüchten oder standhalten. Ihre Körper bleiben in der Gefahr solidarischer als ihr Wille. Je mehr sie sich trennen wollen, desto mehr ketten sie sich aneinander.

6.Unter allen Komikern ihrer Generation leben Stan Laurel und Oliver Hardy in der offensten der Welten. Nicht nur, dass sie erheblich herumkommen, in die Fremdenlegion in der Wüste, in den Wilden Westen, in die malerische Schweiz, in Krieg und Frieden, nicht nur dass sie mal jeweils mit sich selbst verheiratet, ein anderes Mal die eigenen Kinder geworden sind, einmal komplementär und Tür an Tür verheiratet, das andere mal nur der zweite Ehegatte geworden ist und so weiter. Sie verändern sich dabei gewiss nicht zueinander und auch nicht in Bezug auf die Welt.

Stan Laurel & Oliver Hardy „spielen“ immer Übergänge. Die beiden leben zugleich das Alte im Neuen und das Neue im Alten; sie haben das neue Tempo, die neue Wahrnehmung, das neue Gerät, aber sie wissen nicht damit umzugehen. Sie haben kein Ziel, außer in all dem Trubel zur Ruhe zu kommen, und gerade das ist nicht zu erreichen; wenn sie sich bewegen, scheint die Welt stillzustehen, wenn sie stillstehen, rotiert die Welt schneller als je zuvor.

7. Das Wesen der Komik in den Laurel-&-Hardy-Filmen ist das Anwachsen der Differenz von Stufe zu Stufe. Auf den Differenzlosen Stan folgt Ollie, der ja mit kaum etwas so sehr beschäftigt als, als damit die Unterschiede zu betonen: Ich bin nicht so (dumm) wie Stan. Ein Mann ist keine Frau. Ich bin nicht die Welt. Die Konstruktion der Differenz gelingt und misslingt zugleich. Zeichen der Differenz (die Körperfülle, der Schlips) treffen auf Zeichen der Analogie (die Fracks und Hüte). Immer wieder verwechseln Stan und Ollie ihre Hüte, einmal sogar ihre Hosen. Stan versteht nie, was da passiert. Manchmal nicht einmal, nachdem ihm Ollie wutentbrannt den eigenen Hut aus der Hand gerissen und Stans Hut ihm auf den Kopf gedrückt hat. Warum ist die Welt voller Unterschiede?

Und wächst schon die Differenz zwischen Ollie und Stan, so wächst noch mehr die zwischen ihnen und ihren Widersachern: Laurel und Hardy machen immer die Maschinen von jemandem kaputt. Natürlich in erster Linie die von sich selbst. Aber auch die berühmten Demolitions-Duelle von Stan und Ollie und ihren Gegnern übertragen das Wesen der Aggression zuerst von der Person auf das Ding, am berühmtesten vermutlich in dem Kampf um einen Tannenbaum, bei dem sie einem unfreundlichen Zeitgenossen, wie gewöhnlich von James Finlayson gespielt, Stück für Stück das Haus zerlegen, während dieser ebenso Stück für Stück ihr Automobil zerlegt. Und wenn ihre Auseinandersetzung körperlich wird, dann richtet sich das Hauptaugenmerk des Angriffs vom Ganzen auf die Teile (und am liebsten: auf „Ersatzteile“ wie ein Toupet). Sie treffen den Gegner nicht unbedingt dort, wo es weh tut, sondern indem sie gerade das Dividuelle des Körpers sichtbar machen. Ein Angriff, zum Beispiel, auf die Nase oder den Schnurrbart des Gegenübers unter vollständiger Ignoranz des Rests dieses Körpers.

Eine wesentliche Komponente dieser Komik (oder dieser Philosophie, was aber sowieso mehr oder weniger das Gleiche ist) ist die Verschiebung vom Räumlichen auf das Zeitliche. Einen ganzen Film lang gelingt es den beiden nicht, ihr Automobil in Fahrt zu setzen, dabei verabschieden sie sich in regelmäßigen Intervallen frohgemut und hoffnungsvoll von ihren staunenden Nachbarn, die um diesen sonderbaren Fixpunkt herum der gewohnten Tätigkeit eines Tagesablaufs nachgehen. Immer wieder kehrt diese Situation, dass sie einfach trotz ungeheurer Anstrengungen nicht vom Fleck kommen. Nicht durch eine Tür, nicht auf einen Berg, nicht eine Treppe hinauf. Was wäre denn, wenn Sisyphus nicht einer, sondern zwei wäre? Auf jeden Fall wären die Götter nicht mehr so wichtig.