Boulevard für Bildungsbürger

Prototypisches Liebesglück: Ein Blick auf Beziehungen prominenter Paare und ein Streifzug durch die Weltliteratur

Manchmal hilft ein Vergleich, und sei es ein boshafter. „Du nervst mehr als Yoko Ono“, skandieren die Ärzte in ihrem aktuellen Trennungs-Haiku, und solche Metaphorik macht der Adressatin – vermutlich über 30 – deutlich: Hier ist nun aber auch gar nichts mehr zu retten.

Das Phantasma des Liebesglückes: eine Geschichte, die wir so oft hören, dass wir selbst danach leben wollen, und wir erzählen sie immer wieder, damit das auch gelingt. Niklas Luhmann, nie um exklusive Bezeichnungen verlegen, nannte die Liebe ein „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“, eine Kulturerfindung. Konstruktion und Wirklichkeit, Erzähltes und Gelebtes – sie erzeugen sich gegenseitig, und bald weiß man nicht mehr, wer da eigentlich wem zum Ratgeber wird. Die bunte Presse bedient denn auch das stete Interesse: Wie machen es eigentlich die Großen?

Yoko Ono und John Lennon sind solche „Besserliebenden“ (Iris Radisch) und sie geben ein gutes Beispiel dafür ab, wie öffentliche Paare ins Prototyphafte verschoben und schließlich fiktional werden. Sie sind eines der „50 Klassiker Paare“ in Barbara Sichtermanns gleichnamigem Buch. Darin gibt es Boulevard für Bildungsbürger: ein Was-ist-was-Buch der Paarbildung, 50 „Kurzessays“ mit Zitaten (in mintgrün unterlegten Kästchen), weiterführenden Hinweisen sowie mäßig aussagekräftiger Punktwertung (nur zwei Erotiksternchen für Quasimodo). Dazu jede Menge Bilder, und natürlich sind vor allem sie es, die hier den Blätterspaß ausmachen. Presse- und Privatfotos, Filmplakate und kunsthandwerkliche Darstellungen stehen nebeneinander und wiederholen so die Vermischung von Fakt und Fiktion, sprich die Mythologisierung der Liebesmodelle: Musterbeziehung versus Traumpaar. Das Layout ist darauf ausgerichtet: „Gerstenberg Visuell“ steht auf dem Deckblatt, ein nettes Blätter- und Lesebuch. Mehr aber auch nicht. Barbara Sichtermann mag in Luhmanns Sinne konsequenter sein als andere. Dass ihr Buch in einer Reihe erscheint („50 Klassiker . . .“), in der es sonst um Gemälde, Filme, Mythen geht, spricht für sich. Doch an der „Neuschreibung der Geschichte“, welche sie sich wünscht, „nicht als Entwurf großer Einzeltäter, sondern als Resultat des Wirkens von einander verbundenen Menschen“, haben schon ganz andere mitgewirkt, insbesondere der Verlag Rowohlt Berlin und seine Buchreihe „Paare“. Die wurde inzwischen eingestellt (stattdessen nun: die Anthologie „Deutsche Brüder“), ihre Veröffentlichungen bleiben aber unbedingt lesenswert als Musterbeispiele der Gattung „Paarbiografie“.

Andere stellvertretend lieben zu lassen ist eine feine Strategie zur Vermeidung von Fallhöhe. Besser noch, man erfindet die Fallstudien gleich selbst, und diesem Umstand verdanken wir ja überhaupt erst den Berufsstand des Dichters. „Küssen, kopulieren und Kinder zeugen können wir auch ohne diesen Aufwand“, glaubt Reinhard Baumgart. Und doch wird die alte Geschichte immer wieder neu erfunden. Er hat sich auf Spurensuche begeben: 77-mal Glück, Schmerz und Skandal in der so genannten Weltliteratur, und das auch noch für die FAZ. Nun sind Baumgarts „Liebesspuren“ in einem Bändchen versammelt.

Darin kann man nicht nur das Wiederkehrende und das sich Unterscheidende, die Variation bekannter Topoi studieren (erster Anblick, Geständnis, tödliches Dreieck); im Vorbeistreifen fallen Kleinigkeiten ins Auge wie die merkwürdige Vorliebe der Weltliteraten für hässliche oder doch „einfache“ Frauen, deren Erscheinungen auffallen, „ohne besonders schön zu sein“ (Musil), oder „nicht weil sie sehr schön war“ (Tolstoi) – nur bei Flaubert war sie „wie eine Erscheinung“. Männerobjekte gibt es hier übrigens keine. Die Anlage des Buches erinnert an Roland Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“. Der Vergleich ist ungerecht; Barthes’ Buch bleibt unerreichbar, gegen das Licht seiner Sprache gehalten, sind Baumgarts Liebespuren nicht viel mehr als ein schöngeistiger Literaturkurs, ein Spaziergang durch die Weltliteratur, noch dazu keimfrei und strikt heterosexuell; daran herrscht kein Mangel. Dennoch blättert man dieses Büchlein auf und legt es so schnell nicht wieder weg: Da ist immer die Neugier auf das folgende Kapitel, auf den nächsten Fall, eine neue Variation. Nur selten (die Eisenbahn als Metapher für Exterritorialität) verlegt sich Baumgart aufs feuilletonistische Klischee, manches Mal gerät er gar in Schwärmen, allem distanzierten Spürsinn zum Trotz.

Seinen stets zweiseitigen Exegesen stellt er jeweils eine auf wenige Zeilen verknappte Originalstelle voran: Nur ein kurzes Licht fällt auf die Szene, wie ein an die Wand geworfenes Dia, und selbst wenn man das dazugehörige Werk nicht kennt, beginnt man sich an die Lektüre zu erinnern wie an eine vergangene Liebe. SEBASTIAN HANDKE

Barbara Sichtermann: „50 Klassiker Paare. Die berühmtesten Liebespaare“. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2000, 320 Seiten, 39,90 DMReinhard Baumgart: „Liebesspuren. Eine Lesereise durch die Weltliteratur“. Hanser, München 2000, 224 Seiten 29,80 DM