Richtige Kunst im Falschen

Eine Denksportaufgabe für Dekonstruktivisten: Stefan Römer beschreibt in seinem Buch über Fake, wie die Kunst der Achtzigerjahre die Grenzen zwischen Original und Fälschung aufgehoben hat

Die Aneignung von Logos ist dabei zum Gegenbekenntnis geworden: No Logo

von HARALD FRICKE

Hauptsache, die Marke stimmt. Gucci, Fendi, Chanel steht auf den Taschen, die afrikanische Händler in Venedig an Touristen verkaufen. Es ist ein Ritual, jeden Sommer: Man begutachtet das Leder, feilscht um den Preis und zieht dann meistens dankend weiter. Weil es für das Original keinen Ersatz gibt. Oder weil auch die gefälschten Luxusartikel für ein Schnäppchen immer noch zu teuer sind. Trotzdem ist der Markt der Imitate groß, der nachgemachte Rolex-Uhren oder billig kopierte Calvin-Klein-Jeans aus Asien nach Europa schwemmt. Gleichzeitig ändert dieser Markt aber nichts am Wert der echten Produkte, auch das gehört zum Spiel: In Venedig stehen die Händler mit ihren Fälschungen sogar direkt vor den Auslagen der entsprechenden Boutiquen. Dass es dennoch keine friedliche Koexistenz zwischen echter und falscher Herkunft gibt, merkt man bei Razzien der Polizei.

In der Kunst liegen die Verhältnisse nicht minder kompliziert. Hier werden Fälscher flämischer Meister verfolgt, während Künstler, die unter der eigenen Signatur Arbeiten anderer Künstler imitieren, zu Ruhm und Ehre und Museumsausstellungen gelangen. Dann nennt man die Aneignung auch nicht Fälschung, sondern Fake. Sherrie Levine hat es mit ihren abfotografierten Fotografien von Walker Evans getan, Elaine Sturtevant mit Kopien von Warhols Siebdruckblumen. Beide tauchen in Stefan Römers Studie über „Fake als künstlerische Strategie“ auf, weil sich an ihnen belegen lässt, wie sich die Moderne von der Vorstellung des Originals hin zu einer kulturellen Taktik gewandelt hat, „mit der der falsche Charakter von scheinbar wahren Phänomenen in der verfälschenden kapitalistischen Kultur vorgeführt werden soll“.

Im Kapitalismus werde Kultur lediglich als Mittel der Täuschung benutzt, sagt Römer im Rückgriff auf marxistische Weisheiten. Doch dazu taugt, so der Kunsthistoriker, das Fake nicht: Die bewusste Kopie bilde eben nicht eine verfälschte Sicht der Wirklichkeit ab, sie nutze vielmehr ihre eigene, stets mitthematisierte Kluft zur Realität und deren kultureller Repräsentation. Indem sich Fake-Künstler an einer bereits existierenden Vorlage orientieren, stellen sie das Konzept von Originalität schlechthin in Frage – welches Bild könnte unter lauter Falschen überhaupt noch Authentizität beanspruchen? Anders gesagt: Wenn Levine eine von Evans fotografierte Hütte – zumal als Reproduktion aus einem Buch – noch einmal ablichtet, dann zitiert sie damit eine spezifische Künstlerposition, die jetzt allerdings zu einer Aussage über den Stellenwert von Fotografie innerhalb der möglichen Darstellungen von Wirklichkeit umgewidmet wird.

Die Kritik am Original ergibt sich aus der Konfrontation dieser beiden Sichtweisen: Während die eine auf die Realität des unmittelbar Abgebildeten gerichtet ist, zielt die andere auf die visuelle Konstruktion der Realität ebendieses Bildes ab. Insofern besteht die Kunst im Fake vor allem in einer Beobachtung zweiter Ordnung, in der Suche nach den Rahmenbedingungen dessen, was als Kunst wahrgenommen wird; und schließlich in der Rückübertragung dieser Herangehensweisen auf die eigene Produktion. Dafür hält Römer bald ein Dutzend Beispiele parat: Sigmar Polke kommentiert malend das Handwerk tatsächlicher Fälscher, Richard Prince zeigt in seinen reproduzierten Ausschnitten von Marlboro-Cowboys das Blickregime der Werbung, an der er sich mit einer schon von Roland Barthes eingeforderten „Gegenmythologisierung“ abarbeitet. Zuletzt überträgt der belgische Künstler Guillaume Bijl ganze Arbeits- und Verkaufsräume ins Museum, um Displays einer, wie Römer es nennt, „kulturellen Codierung“ zu schaffen, in denen sich der Betrachter so fremd fühlen soll wie im Shoppingalltag sonst auch.

So weit, so Eighties. Die Verdoppelungen, die Römer anführt, finden allesamt auf der Ebene abstrakter Zeichen statt. Deshalb liest sich seine bald 300 Seiten lange Abhandlung oft wie eine Denksportaufgabe für Dekonstruktivisten: Viele Nebengleise führen selbst den Mainstream klar festgeschriebener Bedeutungen in die Irre der Subversion. Wo bisher Fälschungen im Namen des Originals entlarvt werden konnten, tummeln sich nun Vielheiten: „Das Fake rührt am Fundament des traditionellen Kunstbegriffs, weil es einen Mehrwert einführt, wo zuvor ein Wert ausgeschlossen wurde“, heißt es in Römers Resümee.

Tatsächlich gehört Fake als Kampfmittel längst zu den Widerstandsformen, mit denen Demonstranten in echten Bankfilialen „Reclaim The Streets“-Partys organisieren. Die Auseinandersetzung um die Aneignung von Logos ist dabei zum Gegenbekenntnis geworden: No Logo. Umgekehrt gehören in der Kunst die gewöhnlichen Dienstleistungen einer flexibel gehaltenen Arbeitswelt mittlerweile zur erweiterten Produktpalette: Wer will, kann sich im Museum den Nacken massieren lassen – nicht als Fake und auch nicht konzeptuell, sondern ganz real. Aus der von Römer anvisierten Kluft ist Konkurrenz geworden. Dem Kapitalismus kann diese Anverwandlung egal sein: Hauptsache, die Kasse stimmt.

Stefan Römer: „Fake – Kritik von Original und Fälschung“. DuMont Verlag, Köln 2001, 304 S., 49,90 DM