Bodentruppen für die Globalisierung

Zwischen Maschinenhalle und Hobbykeller: In seinem Vater-Sohn-Drama „Ressources Humaines“ beschreibt der Regisseur Laurent Cantet den Arbeitskampf in einer französischen Fabrik. Die Globalisierung als Dilemma eines Wirtschaftsstudenten, der den eigenen Vater wegrationalisiert

von ANDREAS BUSCHE

Es war wieder mal nötig, einen Film wie Laurent Cantets „Ressources Humaines“ vor den Latz geknallt zu bekommen, der die Machtverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital so brutal präzise und gleichzeitig empfindlich durchdringt. Der französische Regisseur beharrt vehement auf der Existenz einer aktivistischen Arbeiterbewegung im Sinne von Bourdieu, in der das Individuum noch eine eigene Stimme besitzt. Cantet argumentiert mit der Schärfe des strengen Marxisten, ohne dabei über den aufrechten Klassenkampf die Basis aus den Augen zu verlieren.

Brecht hat die Arbeitsmaschinerie in ihrer eiskalten Ideologielosigkeit einmal mit der „Maschinerie der Güterbeseitigung“, dem Krieg, verglichen. „Ressources Humaines“ ist im Französischen die Bezeichnung für die Personalabteilung eines Konzerns, in der die menschliche Arbeitskraft Gewinn bringend organisiert und umverteilt wird: das Menschenmaterial als Variable in einer simplen Kalkulation von Kraft mal Beschleunigung. Da unterscheidet sich der Kapitalist tatsächlich kaum noch vom modernen Feldherrn, der von Friendly Fire oder humanitären Kampfeinsätzen schwadroniert. Ganz unvermittelt ist man ja heute sowieso geneigt, beim Begriff des Humanen die Anführungszeichen gleich mitzulesen.

Dieser Zynismus einer Industrie, die den Menschen nur noch als Rohstoff begreift, war für Laurent Cantet der Auslöser, „Ressources Humaines“ zu drehen. Aber er ist weder erklärter Marxist noch Arbeiterkind und schon gar kein militanter Globalisierungsgegner; er vertrete nur ausdrücklich eine „Empfindlichkeit, die eher links ist“, wie er es in einem Interview mit einer französischen Zeitung ausdrückt. Was ihn treibt, ist nicht Wut, sondern die Suche nach so etwas wie intimen Räumen in einem undurchdringlichen Geflecht der Repräsentationen, Halböffentlichkeiten und Institutionen. In „Ressources Humaines“ entlarvt er die strukturellen Missstände des Globalisierungskampfes anhand eines Vater-Sohn-Konflikts, an dem sich auch das Selbstverständnis des Arbeiters zwischen Selbsthass und Trotz, bedingungslosem Funktionieren-Müssen und Ohnmacht abzeichnet. Mit der Rückkehr Francks in seinen Geburtsort schließt Cantet gleich zu Beginn seines Films einen geradezu zwingend logischen Zyklus ab, der das alte Dilemma der Arbeiterklasse – die Fluchtbewegung – beschreibt.

Franck, der Arbeitersohn, ist den „Klauen seiner Klasse“ entkommen und kehrt als frisch gebackener Wirtschaftsuni-Absolvent an den Ort zurück, dessen ökonomische Topografie ihn erst auf diesen Lebenslauf konditioniert hat. Der gestärkte Hemdkragen ist der Status quo, auf den er von seinem Vater ein Leben lang geeicht wurde. Der steht seit 30 Jahren beim größten Arbeitgeber des Ortes, in dessen Personalabteilung Franck sein Praktikum antritt, an derselben Maschine und funktioniert.

Cantet nimmt sich viel Zeit für die Schilderung der beiden Lebenswelten des Vaters, zwischen denen sich das Wesen dieses stoischen Malochers langsam erschließt: Dabei sind die Übergänge von Arbeits- und Familienleben fast fließend. Genau wie Cantet immer nur eine kurze Abblende zum Verbinden der Einstellungen reicht, sind die Verhaltensweisen des Vaters am Arbeitsplatz längst in das Private diffundiert. 30 Jahre langes Buckeln hat seinen Körper in Mitleidenschaft gezogen, und sein Gesicht ist zu einer Maske aus Trotz und Scham versteinert, die in ihrer verletzlichen Verschlossenheit trotzdem tiefe Sympathie hervorruft. Mit welcher Stoik er in der Fabrik die Bauteile durch seine Maschine schleift und später, in seiner Freizeit, in seinem Werkraum steht und mit derselben Teilnahmslosigkeit Regal- und Schrankteile zusägt, zeigt, dass ihn die 30 Jahre keineswegs von seiner Arbeit, sondern von seinem Leben entfremdet haben.

Alle Lebenskraft hat er in seinen Sohn investiert, damit er dem Fluch seiner Klasse nur ja entkommen soll. Exemplarisch für diesen Zustand der Kapitulation ist die Szene, in der Franck seinem Vater einen Fragebogen zur Arbeitsplatzumstrukturierung erklärt, worauf der Alte mit Ablehnung reagiert – und der Feststellung, dass er doch nicht wissen könne, was das Beste für ihn sei. Diese Haltung ist aus seiner Sicht nur zu verständlich, weil der Firmenchef in seiner Fabrik wie ein frühkapitalistischer „Patron“ (wie es auch im Original heißt) auftritt. Der Konflikt entlädt sich schließlich, als Franck erkennt, dass er von der Chef-Etage nur als Sündenbock benutzt wurde, um die Rationalisierungsmaßnahmen in der Fabrik voranzutreiben und die Arbeiter gegen die Gewerkschaft auszuspielen. Sein Vater steht auf der Entlassungsliste ganz oben. Der Sohn schlägt sich zwar auf die Seite der streikenden Arbeiter, aber er ist keiner mehr von ihnen.

Sein ergreifendes Plädoyer für Selbstrespekt bringt aber zumindest endlich neues Vertrauen in das zwiespältige Verhältnis zum Vater: „Schon als Kind habe ich mich dafür geschämt, ein Arbeiterkind zu sein. Jetzt schäme ich mich dafür, mich geschämt zu haben. Du schämst dich deiner Klasse! Jetzt bin ich da, wo du mich immer sehen wolltest – auf der Seite der Chefs. Aber diese Scham hast du mir vererbt. Und die werde ich ewig in mir tragen.“ Es ist der Moment, in dem auch die Maske des Vaters endlich fällt.

Die ratlose Frage nach dem Platz in der Gesellschaft und die bittere Erkenntnis, dass er hart erkämpft werden muss oder immer ein zugewiesener bleibt, bestimmen den Nachklang von „Ressources Humaines“. Am Ende verkündet die resolute kommunistische Gewerkschafterin Madame Arnoux einen merkwürdigen Festtag: Die gesamte Belegschaft des Werks hat zu einem Generalstreik zusammengefunden.

Kein Happyend zwar, aber immerhin die Ahnung einer Utopie, die der Frage nach dem selbst gewählten Platz das geradezu romantisierende Bild einer Solidargemeinschaft entgegensetzt.

„Ressources Humaines“. Regie: Laurent Cantet. Mit: Djallil Lespert, Jean-Claude Vallod, Chantal Barre u. a., Frankreich 1999, 103 Min.