Max Planck spricht deutsch

Schriften zu Zeitschriften: Im ersten Halbjahr geht es in „Gegenworte“, der Zeitschrift der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, um Universalsprachen, Bad English und schließlich Genmanipulationen der Poesie

Was letztlich bei der Sensationslust rauskommt, die uns alle im Moment umtreibt, hinsichtlich der Fortschritte der Molekularbiologie, der Nanotechnik und der Entwicklung künstlicher Intelligenz, heißt wohl Scientainment. Oder auf Deutsch: Wissen leicht gemacht. Doch auf Deutsch geht nichts mehr in den Natur- und Technikwissenschaften. Schön und exemplarisch ist dafür das Bild, das Jürgen Trabant, Professor für Romanische Sprachwissenschaft, an den Anfang seines Artikels in Gegenworte stellt, der Zeitschrift für den Disput über Wissen. Es handelt sich um eine Fotografie, aufgenommen 1932: Max Planck spricht vor der Akademie. „Max Planck – Frack, Amtskette, Orden – spricht deutsch. Das sieht man natürlich nicht, aber das weiß man. 1932 gab es keinen Grund, vor der Berliner Akademie irgendetwas anderes zu sprechen.“

2000 gilt das nicht mehr. Da reden drei gefeierte junge Wissenschaftler vor der Akademie. Ein Elegant spricht über etwas Historisches in Deutsch. Ein korrekter Anzugmensch über Biologisches in Englisch. Ein drittes, schlecht gekleidetes Genie spricht ebenfalls über etwas Naturwissenschaftliches. Und Trabant: „Aber wie der Mann redet! Er spricht ein kaum auf die deutsche Norm hin orientiertes Berlinisch – waschecht –, durchsetzt mit vielen amerikanischen Termini – phonetisch ebenfalls waschecht, viele ‚r‘ und ‚ä‘ und so. Die sprachliche Vermählung des Prenzlberg mit dem MIT, hier wird sie zum Ereignis.“ In den Universitäten wird eben nicht mehr nur auf Englisch publiziert, sondern auch Vorlesung und Seminardiskussion sind auf Englisch umgestellt. Ebenso erteilen Schulen, die auf sich halten, ihren naturwissenschaftlichen Unterricht in Englisch. Für die deutschen Dialektsprecher entfällt also nach und nach der Ort, an dem sie richtiges Hochdeutsch lernen. Die Diglossie Dialekt/Deutsch wird zur Triglossie Dialekt/Deutsch/Englisch, wobei das Deutsche in der Mitte von seinen Rändern her aufgefressen wird und am Ende die Diglossie Dialekt/Englisch steht.

Gegenworte wird seit dem Frühjahr 1998 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) im halbjährlichen Rhythmus herausgegeben. In der Zeitschrift kommen Autoren aus Sozial-, Natur- und Geisteswissenschaften mit Nichtwissenschaftlern aus Literatur, Journalismus und Wirtschaft ins Gespräch, und dieses Gespräch ist dann auch für ein interessiertes Publikum verständlich. Das Frühjahrsheft dreht sich nun explizit um das Problem der Vermittlung zwischen Wissenschaft und allgemein gebildeten Laien, kurz, um das „Public Understanding of Science“. Dabei gelangt man in Deutschland automatisch zur Frage des Sprachenproblems. Das Englisch, das die hiesigen Wissenschaftler sprechen, nennen der Biochemiker Ferdinand Hucho und der Physiker Carsten Hucho Bad English. Bad English hat nichts mit Pidgin, Cockney oder Dialekt zu tun. Es ist ein grammatikalisch korrektes, vollkommen verständliches, doch absolut ausdrucksschwaches, abgeschliffenes 1.000-Worte-Idiom. Als Lingua franca unserer Zeit durchaus demokratisch gestrickt, öffnet es die Schatztruhen der Erkenntnis für jedermann. Denn jedermann spricht heute Englisch, weshalb unsere Alltagssprache – darauf vor allem macht das Kunstwort Scientainment aufmerksam – schon mit reichlich Bad English durchsetzt ist.

Eckart Klaus Roloff, Leiter des Wissenschaftsressorts der Wochenzeitung Rheinischer Merkur, fasst seinen Beitrag über „Sprachwahl zwischen Hermetik und Populismus“ unter diesem Hybrid zusammen. Und er spricht endlich die immer falsch verwendete Metapher vom Quantensprung an. Doch Roloff wird nicht gehört. Im gleichen Heft schreibt Gerald Hubmann, Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, „Von der Notwendigkeit der Metapher“ und behauptet an einer Stelle, in der Computertechnologie sei die Ablösung des alphanumerischen Displays durch die grafisch-interaktive Benutzeroberfläche „ein Quantensprung“ gewesen. Hier ließ die Redaktion der Gegenworte Sorgfalt vermissen. Denn der übergangslose Zustandswechsel, den die Metapher meint, fand in der Ersetzung der Lochkarten durch den Fernsehbildschirm statt, wie sie ein namenloser IBM-Ingenieur eines Tages vollbrachte. Von den Bildschirmzahlen zur Bildschirmgrafik, das war ein durchaus kontinuierlicher Prozess.

Dass die Begriffe gerne unhinterfragt und unerklärt so genommen werden, wie sie in den Texten durchaus unterschiedlich informierter Autoren daherkommen, lässt sich auch bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beobachten. Das Herüberholen der Hard Sciences in deren Feuilleton hat der Aufklärung der Leser nicht unbedingt gedient. Denn, so Roloff, dass wir meinen, Klonen sei ein Objekt der Gentechnik und nicht der Zellbiologie, verdanken wir auch diesem Feuilleton.

Ein schöner Artikel über die Dichtkunst von August Stramm, des 1915 gefallenen Berliner Postbeamten, stammt von Ingeborg Harms, Mitarbeiterin der eben erwähnten Zeitung. Dass Stramms gewagte Wortoperationen eine Art verbale Gentechnologie seien, bleibt aber auch bei ihr nur schiefe, wenig zwingende Metapher. Überflüssig bis nachgerade ärgerlich. Auch wenn sich Physiker beispielsweise bei James Joyce’ „Finnegans Wake“ den Begriff des Quark holten, heißt das kaum, dass Joyce nun unter dem Aspekt der Teilchenphysik gelesen werden sollte oder gar könnte. Oder das man heute eben über das Interagieren der Gene bei ihm Auskunft bekäme. Wie es Ingeborg Harms meint.

BRIGITTE WERNEBURG

„Gegenworte“. Hrsg. von der BBAW, 7. Heft, Frühjahr 2001, Lemmens Verlags- & Mediengesellschaft Bonn, 17 DM