Die Kunst der Provokation

Warum sich die Plakate zur Sammelaktion für das Holocaust-Mahnmal, die Kuh-Performance und eine Leichen-Show auf der Love Parade zwar ähnlicher Mittel bedienen, das eine aber gerechtfertigt, das andere zweifelhaft und das dritte abstoßend ist

von PHILIPP GESSLER

„Sicherlich werden sich einige aufregen“, sagte vorgestern der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck zu einem „provokanten Spendenaufruf“, wie es in einer Einladung zur Vorstellung einer Plakataktion hieß. „den holocaust hat es nie gegeben“, steht auf „Megapostern“, die in deutschen Großstädten hängen sollen. Ein zentrales Plakat ist seit gestern am Pariser Platz zu sehen. Mit den Postern will der Förderkreis die Deutschen zu Spenden für das geplante Holocaust-Denkmal am Brandenburger Tor aufrufen. Beck ist Kurator der Stiftung, die das Mahnmal errichten will.

Auch der Performance-Künstler FLATZ will in Berlin Aufsehen erregen. Er wollte gestern Abend eine tote Kuhe von einem Hubschrauber herunterwerfen, während er selbst in der Nähe an einem Kran hängt, blutend, nackt und singend. Er will ebenfalls Geld einnehmen: „Mit dieser Auftakt Performance veröffentlicht er seine neue Maxi ,Fleisch`, die am 27. Juli im Handel erscheint“, heißt es auf seiner Internetseite.

Schließlich ist da der „Plastinator“ Gunther von Hagen. Er will morgen in der Hauptstadt einen „technoiden Totentanz – Plastinate raven mit“ inszenieren, wie er mitteilt. Er hat einen Wagen der Love Parade gemietet und will mit zehn konservierten und aufgeschnipselten Leichen, „Plastinaten“ eben, auftauchen. Eine Provokation, klar. Auch er will in die Tagesschau. Er will Tickets für seine Ausstellung am Ostbahnhof verkaufen. Hier geht es ebenfalls ums Geld.

Darf man diese drei Phänomene vergleichen? Ist es pervers, die Sammelaktion zugunsten eines Denkmals in Erinnerung an ein Menschheitsverbrechen, eine blutrünstige Kunstaktion und den Showauftritt eines umstrittenen Pathologen miteinander in Beziehung zu setzen? Vielleicht schon. Aber es ist auffällig, dass alle drei Auftritte, die zufällig fast zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden, mit Provokationen spielen, die vor allem den Sinn haben sollen, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken. Man will in allen drei Fällen etwas „hervor-rufen“. So lautet die Übersetzung der lateinischen Wurzel des Wortes „provozieren“. Sie wollen „herausfordern“, „aufreizen“, wie das etymologische Wörterbuch den Begriff „provozieren“ umschreibt. Die träge Aufmerksamkeit von Lieschen Müller und Hans Maier ist offenbar in einer Mediengesellschaft nicht mehr anders zu erhaschen.

Vergleichen aber heißt nicht gleichsetzen. Wenn drei das Gleiche machen, ist es noch lange nicht dasselbe. So ist die Provokation für das Holocaust-Mahnmal gerechtfertigt, die Provokation der Performance zweifelhaft, die Provokation des Plastinators abstoßend. Warum? Weil die Motive unterschiedlich redlich sind.

Mit ihrem provokanten Spruch begehen die Mahnmalssammler bewusst einen politischen Tabubruch: Sie sprechen aus, was Nazis glauben (wollen). Sie wollen einen Denkprozess in einer Bevölkerung anregen, die den Massenmord an den Juden und die deutsche Schuld daran am liebsten verdrängt. Die Provokation dient der Aufklärung. Und diese Provokateure wollen das Geld nicht für sich selbst.

Auch FLATZ will provozieren. Er will, wie er recht schlüssig etwa in einem Aufsatz in der Süddeutschen Zeitung erläutert, mit seiner Aktion unter anderem die bei fast jedem Fleischesser verdrängte Tatsache ins Bewusstsein zurück-rufen, dass für ihre Fleischeslust Mitgeschöpfe bestialisch massakriert werden. Was er macht, ist eine Show, vielleicht eine schlechte. Aber die Performance weist über den Schock, den sie hervorruft, hinaus, und sie hat ebenfalls einen aufklärerischen Impetus. Dass er damit auch Geld verdienen will, ist okay, Künstler müssen leben. Freiheit braucht die Kunst, ob man sie versteht oder nicht, ob man sie gut findet oder nicht.

Die Plastinaten-Show im Tiergarten aber ist bloß abstoßend. Denn sie dient nur noch dem Geldverdienen. Die Ankündigungen von Hagens drehen sich praktisch nur darum, dass er noch mehr Besucher in seine Ausstellung locken will – Freikarten für die Raver inklusive. Dem „Plastinator“ geht es nicht um einen höheren Zweck. Schon lange geht es nicht mehr um die Würde, die er seinen toten Menschen zu erhalten vorgibt. Wes Geistes Kind er ist, zeigt sich in dem zynischen Gag, mit dem er die Leichenschau legitimiert: „Die Plastinate sind Musik schon gewohnt. Die Bässe der benachbarten Konzertveranstalter ,Tempodrom` und ,Maria` haben sie schon manche Nacht zum Tanzen gebracht.“ Provokation ohne ethische Basis ist pervers.