Ein Job in der französischen Handelsvertretung

Prospekte per Telefon

Nach der Wende traf ich einen Bekannten wieder, der von seinem Job bei der französischen Handelsvertretung schwärmte. Man müsse fast nichts tun, nur telefonieren. Die Mitarbeiterinnen seien hübsche Französinnen – etwas älter, aber das spiele bei denen keine so große Rolle. Ich könne sicher sofort einsteigen. Ich fuhr mit pochendem Herzen hin. Das Büro lag in einem imposanten Gebäude Unter den Linden. Draußen wehte die Trikolore, drinnen war alles aus massivem Stein. Man fuhr in einem altmodischen, vergitterten Fahrstuhl hoch.

Die Französin, der ich zugeteilt wurde, erklärte mir meinen Job. Ich sollte für einen Pariser Büromöbelhersteller den Markt in Ostdeutschland sondieren. Dazu musste ich aus dem Telefonbuch von Berlin und Brandenburg alle Möbelhändler heraussuchen und sie fragen, ob sie am Prospekt eines französischen Herstellers interessiert seien. „Man muss sehr energetisch sein“, warnte mich meine Chefin. Ich unterstrich ein paar Telefonnummern, nahm meinen ganzen Mut zusammen und rief bei einem ostdeutschen Händler an: „Hallo, spreche ich mit der Firma Jurisch?“

„Ja.“

„Könnte ich bitte den Geschäftsführer sprechen?“

„Am Apparat.“

„Guten Tag, Herr . . .“

„. . . Jurisch.“

„Ja, Herr Jurisch, mein Name ist Schmidt, ich rufe von der französischen Handelsvertretung in Berlin an. Der Pariser Büromöbelhersteller Bureauplus ist daran interessiert, auf den deutschen Markt zu expandieren. Nun ist die Frage, ob Sie daran interessiert sind, ein Prospekt dieses Herstellers zugesandt zu bekommen?“

„Wie was? Prospekt?“

„Ein Prospekt des Büromöbelherstellers Bureauplus.“

„Was für ein Büromöbelhersteller?“

„Ein französischer, der bisher nur in Frankreich verkauft, aber sehr am ostdeutschen Markt interessiert ist.“

„Und was haben Sie damit zu tun?“

„Ich arbeite für die französische Handelsvertretung in Berlin.“

„Aber Sie sind doch gar kein Franzose.“

Manche stellten sich quer, weil sie dachten, ich wolle sie aufkaufen. Andere waren sehr interessiert an Prospekten, weil sie anscheinend meinten, das große Los gezogen zu haben, und einen Wettbewerbsvorteil witterten. Wenn ich in Westberlin anrief, verliefen die Gespräche noch frustrierender: „Also hören Sie, ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, hier anzurufen. Wir sind ein Haus der gehobenen Preisklasse, wir bedienen einen exklusiven Kundenkreis und suchen uns unsere Partner grundsätzlich selbst aus. Guten Tag.“

Ich beschloss, nur noch im Osten anzurufen und einen französischen Akzent anzunehmen, um glaubwürdiger zu wirken: „Allo, ier ist die frangsösische Andelsvertretung Berlin.“

„Sie haben doch schon gestern angerufen. Ich denke, Sie sind kein Franzose?“

Als meine Chefin einmal nicht da war, durfte ich an ihrem Schreibtisch sitzen. Die Sessellehne bog sich federnd nach hinten, man konnte fast waagerecht liegen beim Telefonieren. Gleich nebenan war die Küche mit Mikrowelle und Kaffeemaschine. Ich hatte noch nie davon gehört, dass es in Büros Küchen mit Kühlschränken gab. Ich musste nur die Zeit rumkriegen und, wenn jemand an der Tür vorbeiging, schnell ein bisschen auf dem Telefon herumhämmern. Damit es nicht auffiel, dass ich nichts tat, rief ich alle meine Bekannten an. Meinen Job erledigte ich in den letzten zehn Minuten jeder vollen Stunde. Dann würde die Liste der Interessenten eben nicht so lang. Und die Informationen mussten ja auch nicht stimmen, Hauptsache, ich brachte den Namen des Geschäftsführers in Erfahrung. Die Liste wurde dann für 30.000 Mark verkauft. Möbel von Bureauplus habe ich noch in keinem Schaufenster entdecken können.

Als Nächstes sollte ich Kosmetikgroßhändler in Ostdeutschland erkunden. Es gab aber gar keine mehr, nicht einmal Kosmetikhersteller. Überall, wo ich anrief, schien jemand in einer leeren Werkhalle zu sitzen und bis zum Abriss der Halle Telefondienst zu haben. Mit Zoohandlungen war es dasselbe. Und als ich eine aktuelle Liste der Adressen aller Senatsverwaltungen erstellen sollte, verzweifelte ich fast. Sie waren alle umgezogen, die Telefonnummern stimmten nicht mehr, oder sie hießen nicht mehr so. Ich sah auch nicht ein, wozu so eine Liste dienen sollte. Wenn man eine Nummer brauchte, konnte man sie doch herausbekommen. Meine Chefin sah wiederum nicht ein, dass ich etwas, was mir sinnlos erschien, nicht machen wollte. Aber ich wollte auch wie sie im Sessel sitzen und den Spiegel lesen. Sie war die hübscheste der Französinnen, mit langem Zopf und sehr groß. Bestimmt hätte sie lieber gegenüber im Büro der französischen Kulturvertretung gearbeitet. Ich ja auch.

Eines Tages stellte die Buchführung fest, dass unsere Arbeit überflüssig war. Wir wurden gebeten nicht mehr zu kommen. Ich ließ mich nicht zweimal bitten. JOCHEN SCHMIDT