Brutales Vorgehen der Carabinieri

Beim G-8-Gipfel in Genua hat die italienische Polizei 68 Deutsche verhaftet. Den Demonstranten werden unter anderem Widerstand gegen die Staatsgewalt und unerlaubter Waffenbesitz vorgeworfen. Unter den Inhaftierten sind auch Verletzte

von M. BRAUN, Y. MUSHARBASH,
A. SPANNBAUER

Mehr als 250 Verhaftete, unter ihnen nach Angaben des Auswärtigen Amtes mindestens 68 Deutsche – dies ist die Bilanz der polizeilichen Zugriffe von Freitag bis Montag beim G-8-Gipfel in Genua. Die Anschuldigungen gegen die Demonstranten reichen von schwerem Widerstand gegen die Staatsgewalt über Besitz von Waffen und Sprengstoffen – gemeint sind zwei Molotowcocktails, die in einer vom „Genoa Social Forum“ gemieteten Schlafstätte gefunden wurden – bis hin zur „Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zwecke der Plünderung“ und versuchtem Mord. In letzterem Fall wird allerdings genauso wie beim Besitz der Molotowcocktails gegen Unbekannt ermittelt.

Für die italienischen Verhafteten führten die bisherigen Haftprüfungstermine in fast allen Fällen zur Freilassung: 123 festgenommene Demonstranten wurden wieder auf freien Fuß gesetzt; bei 70 von ihnen wurden sämtliche Anschuldigungen fallen gelassen, weitere 50 müssen sich wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verantworten.

Die ausländischen Verhafteten werden jedoch offenbar weiterhin festgehalten. Einige von ihnen werden von italienischen Anwälten des Genoa Social Forums vertreten. Der „Ermittlungsausschuss“, der sich um die Belange der in Italien festgehaltenen Deutschen kümmert, erklärte jedoch gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin, dass zahlreichen Inhaftierten der Kontakt zu ihren Anwälten verweigert würde.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes befand sich gestern ein Deutscher, der zuvor verhaftet worden war, nach einer Notoperation noch immer in einem italienischen Krankenhaus. Der 21-Jährige ist inzwischen aus dem Koma erwacht. Eine Sprecherin des Ermittlungsausschusses sagte, er habe eine Hirnblutung erlitten. 25 weitere Deutsche seien verletzt und würden zum Teil unter Polizeibewachung in verschiedenen Krankenhäusern behandelt, hieß es beim Auswärtigen Amt.

Der Ermittlungsausschuss geht von rund 60 verletzten Deutschen aus. Er wirft der italienischen Polizei vor, die Inhaftierten zu misshandeln. In einigen Fällen sei der Verbleib von Demonstranten noch immer unklar. „Es gibt offenbar nach wie vor folterähnliche Maßnahmen oder Foltermaßnahmen in den Polizeistationen“, sagte auch Bodo Zeuner, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zeuners Tochter zählt zu den Inhaftierten. Die deutsche Botschaft hat allen deutschen Verhafteten konsularische Betreuung angeboten.

Die meisten Verhaftungen waren in der Nacht vom Samstag auf Sonntag beim Sturm auf das Genoa Social Forum erfolgt. Augenzeugen, die sich zu dieser Zeit in dem Gebäudekomplex aufgehalten hatten, bezeichneten die Polizeiaktion als „Massaker“. Die Beamten hätten das Gebäude ohne Vorwarnung gestürmt und dann auf die darin schlafenden Personen eingeschlagen, schilderte der Journalist Ingo Keil den Ablauf. Dutzende von Personen seien verletzt oder bewusstlos aus dem Gebäude geschleppt worden. Dicke Blutlachen, rot gefärbte Holzknüppel und Blutspuren an den Wänden würden von dem brutalen Vorgehen der Carabinieri zeugen.

Die Rechtsanwälte des Genoa Social Forums erwarteten gestern angesichts der mehr als dünnen Beweislage für die nächsten Tage weitere Freilassungen, möglicherweise auch unter den ausländischen Inhaftierten. Sie sind sicher, dass die Razzia der italienischen Polizei rechtswidrig war. Auch jene Personen, die auf der Rückreise am Montag in der Umgebung von Genua verhaftet wurden, haben allem Anschein nach gute Chancen, das Gefängnis schnell wieder zu verlassen.

Das Genoa Social Forum hat eigene Ermittlungen zur Dynamik der Polizeieinsätze und den teils schweren Misshandlungen gestartet, denen zahlreiche Inhaftierte nach eigenen Aussagen ausgesetzt waren. Es bittet deshalb alle Demo-Teilnehmer, die Opfer oder Zeugen polizeilicher Übergriffe wurden, sich mit einer kurzen Mitteilung (Vorfall, Zeit und Ort) unter der folgenden Telefonnummer bei den Anwälten des Genoa Social Forums zu melden: 00 39-0 10 26 73 12 (italienisch oder englisch).