Mord in Schottlands Armenhaus

Ein erstochener Kurde, ein verletzter Iraner: Angriffe auf Flüchtlinge im Glasgower Hochhausviertel Sighthill offenbaren die Krise der britischen Asylpolitik. Völlig unvorbereitet werden sozial ausgegrenzte Wohnsiedlungen mit Asylsuchenden gefüllt

von RALF SOTSCHECK

Lieber setze er sich der politischen Verfolgung im Iran aus, als auch nur einen Tag länger in Glasgow zu bleiben, sagte Davoud Rasul Naseri. Der 22-jährige Asylbewerber wurde am Dienstag in der Glasgower Sozialwohnungssiedlung Sighthill von Rassisten niedergestochen. Er wollte Abfall in einen Müllschlucker vor seiner Wohnungstür im siebten Stock werfen, als er von hinten angegriffen wurde.

Naseri kam vor anderthalb Jahren nach Schottland. „Zuerst war ich sehr froh, dass ich in einem sicheren Land leben durfte“, sagte er nach dem Anschlag. „Aber das dauerte nicht lange. Ich fühle mich längst nicht mehr sicher. Ich hasse Glasgow und ich hasse die Menschen in Glasgow. Ich will in mein eigenes Land zurück. Es wäre besser, wenn ich wegen meiner politischen Ansichten umgebracht würde als wegen gar nichts.“

Den vier weißen Teenagern, die Naseri als „schwarzen Bastard“ beschimpften, während sie ihn attackierten, war es gelungen, die Kameras am Eingang seines 19-stöckigen Wohnblocks zu umgehen. Die Sicherheitsvorkehrungen in Sighthill waren gerade erst verstärkt worden, nachdem am Sonntag der 22-jährige Kurde Firsat Yildiz auf dem Nachhauseweg von einem Restaurant in der Glasgower Innenstadt ermordet worden war. Zwei weiße Männer erstachen den Flüchtling vor seinem Wohnblock in Sighthill. Nun trauen sich die meisten Asylbewerber in Sighthill nicht mehr aus ihren Wohnungen.

Sighthill ist eine heruntergekommene Hochhaussiedlung aus den Sechzigerjahren. Die meisten der 5.000 Bewohner sind arbeitslos, die Verbrechensrate und der Drogenmissbrauch sind hoch. Vor drei Monaten wurden 1.200 Asylbewerber aus London und Südostengland dorthin verlegt – Teil der derzeitigen britischen Regierungspolitik, 30.000 Asylbewerber im ganzen Land zu verteilen, um den Druck von Südostengland zu nehmen, wo die meisten Zufluchtsuchenden ankommen. Nach Einschätzung der örtlichen Polizei hatten die Bewohner der 20 Wohntürme von Sighthill Probleme, plötzlich Menschen aus 40 verschiedenen Ländern bei sich aufzunehmen. Flüchtlingsorganisationen registrierten mehr als 70 rassistische Übergriffe in den letzten Wochen.

Ein Trauermarsch von 400 Menschen für Yildiz wurde am Montag von weißen Jugendlichen mit Steinen und Eiern angegriffen. Charlie Riddell vom Mieterbund in Sighthill gab den Lokalpolitikern Mitschuld an den rassistischen Angriffen. Vor den Wahlen Anfang Juni hätten sie mit dem Asylthema Wahlkampf betrieben, sagte er. „Die Leute in Sighthill sind arm, vernachlässigt und ohne Ausbildung. Sie waren auf die Ankunft von so vielen Asylbewerbern nicht vorbereitet. Sie glauben, die Flüchtlinge werden vom Staat besser behandelt als sie. Ihre Reaktion hat mehr mit Neid zu tun als mit Rassismus.“

Aamer Anwar von einer lokalen anti-rassistischen Organisation gab Riddell Recht. „Unsere Botschaft an die Stadtverwaltung, die Regierung und das Innenministerium lautet: Ihr seid schuld. Was haben sie denn erwartet, als sie Tausende von Menschen in einer der vernachlässigsten Siedlungen Europas abluden, ohne vernünftige Mittel und Unterstützung zur Verfügung zu stellen?“ Mark Brown von einer Hilfsorganisation sagte, die Glasgower Stadtverwaltung nehme an dem Regierungsprogramm zur Umverteilung von Asylsuchenden allein aus finanziellen Gründen teil: Sie wolle damit Wohnungen füllen, die sonst nicht vermietbar wären.

Die Regierung von Tony Blair verteidigte gestern ihre Strategie. Innenstaatssekretär Jeff Rooker sagte, die Regierungspolitik sei „ziemlich erfolgreich“ und deshalb lasse man sich nicht von Rassisten beeinflussen. „Wir können doch bestimmte Viertel nicht aus unserer Strategie ausklammern, nur weil es dort Rassisten geben könnte“, sagte er. Die meisten Asylanträge würden am Ende ohnehin abgelehnt.