Das Rätsel führt zu nichts

■ Neu im Kino: „Love Me“ von Laetitia Masson. Ein schöner Anfang, doch am Ende des Films siegt die Banalität

Was denn nun? Erträumt sich da eine Frau, die ein tristes Leben an der französischen Küste fristet, ein glamouröses Abenteuer in Amerika? Oder irrt dieselbe Frau mit Amnesie durch Memphis, Tennessee, trifft dort einen abgehalfterten Elvis-Imitatoren und fällt regelmäßig in Ohnmacht, wobei sie dann von ihrer Doppelgängerin in Frankreich träumt.

Sucht ein fünfzehnjähriges Mädchen mit Hilfe eines Profikillers seine Mutter, oder träumt unsere Protagonisten nur, dass sie von sich selber als jungem Mädchen verfolgt wird? Ist die Obdachlose, die auf einer Bank im Freien schläft, nun ihre Mutter oder sie selbst, oder sind all dies nur Traumbilder einer hochalkoholisierten Frau? Zum Beginn des Films „Love Me“ von Laetitia Masson ist man fasziniert von den Rätseln, von den virtuosen Verwirrspielen Auch die Stimmung wird grandios eingefangen: Sandrine Kiberlain kann wunderbar verlorene, trotzige oder verletzte Blicke werfen und Johnny Hallyday ist als abgebrühter Franko-Elvis mit seiner rauen fatalistischen Traurigkeit genau die passende Projektionsfläche für die Sehnsüchte der Frau. Alles passt, das Geheimnis nimmt gefangen, ein toller Anfang.

Doch dann wiederholt die Regisseurin ihre Tricks: Sandrine in Amerika fällt zum zweiten und zum dritten Mal in das Schwarz einer Ohnmacht und wacht in weißem Licht als Sandrine in Frankreich auf. Mehrfach zeigt Laetitia Masson die Protagonistin im Gespräch mit einer Person und zeigt dann im Gegenschnitt, dass Sandrine ganz alleine mit sich selber redet. Man erkennt also schnell den Boden der Trickkiste, und spätestens nun müßte ein roter Faden den Weg durch den Film weisen. Der darf ja gerne in die Irre führen, es gibt genügend Beispiele von Filmen, in denen das Publikum bis zur letzten Einstellung an der Nase herumgeführt wurde. Aber hier wollte die Regisseurin wohl unbedingt Form und Inhalt in Einklang bringen: die Liebeswirrnisse der Heldin entsprechen einem filmischen Wirrwarr.

So wird man zunehmend ungeduldig, da kann Sandrine Kiberlain noch so schwanenhaft ihren schönen Hals recken und Johnny Hallyday noch so fotogen den antiromantischen (und gerade deshalb natürlich hochkitschigen) Helden geben. Dem Film fehlt ein ruhender Pol, ein sicherer Standpunkt. Wenn man merkt, dass das Rätsel zu nichts führt, verliert man schnell das Interesse daran, und dann gehen einem auch die Traumbilder zunehmend auf die Nerven. Immer wieder Elvis, immer wieder „Love Me Tender“ – spätestens wenn Sandrine und Johnny es im Duett singen, will man es nun wirklich nicht mehr hören.

Laetitia Masson wollte mit dem Abschluss ihrer Filmtrilogie über Liebe und Arbeit unbedingt großes Kino machen, und das ist ihr nicht gut bekommen. Die Vorläufer „Haben (oder nicht)“ und „Zu Verkaufen“ waren in einer genau beobachteten sozialen Realität verankert, und ihre große Entdeckung Sandrine Kiberlain stolzierte wie ein großer, schöner Vogel durch die Tristesse dieser Filme.

„Love Me“ schwebt nun losgelöst in Traumbildern vom amerikanischen Kino, und zum ersten mal hat man das Gefühl, dass sich die Regisseurin zu sehr auf die Wirkung ihrer Lieblingsschauspielerin verlassen hat. Die vielen Nahaufnahmen sind nicht zwingend und nur auf diese Effekte hin kalkuliert.

Am Schluß bekommt man dann doch noch eine zumindest wahrscheinliche Lösung gereicht, aber die ist so ausgeleiert und banal, dass der Film durch sie entgültig zum Ärgernis wird: Alles war nur Therapie, der Killer mit der geladenen Pistole entpuppt sich als Analytiker, und Sandrine wird als geheilt entlassen.

Dazu singt dann John Cale noch einen schönen traurigen Elvis-Song, aber man hatte ja schon lange vorher eine Überdosis vom „'eartbreak 'otel“ verpasst gekriegt.

Wilfried Hippen

„Love Me“ von Laetitia Masson läuft in der Originalfassung mit Untertiteln im Kino 46 von heute, Donnerstag, bis Mo. um 20.30 u. Di. 18.30 Uhr.