Der Überzeugungstäter

Norbert Hackbusch aus Hamburg gehört zum Urgestein der grün-alternativen Bewegung. Vor zwei Jahren verließ er die Grünen, weil er sich deren fast bedingungslose Anpassung nicht mehr zumuten wollte. Seine Geschichte mag erklären, weshalb die Ökopartei mehr und mehr an Kraft verliert. Ein Porträt zu den nahenden Bürgerschaftswahlen

von HEIKE HAARHOFF

Kurz vor dem Pfahl kommt das Rad abrupt zum Stehen. Die Abzweigung nach links ist gesperrt. Das ist neu. Ein Schild der Hamburger Umweltbehörde bittet um „Verständnis“, dass Natur und Mensch ab hier und ab sofort voreinander geschützt werden. Weiter geht der Weg nur noch geradeaus.

Norbert Hackbusch hat den einen Fuß noch auf der Pedale, unentschlossen, ob er einfach weiterfahren soll. Er könnte es tun: zur Kenntnis nehmen, dass der schmale Feldweg nicht mehr zugänglich ist, der bis vor kurzem durch ein Wäldchen führte bis dicht an die Alte Süderelbe heran und dann über Weiden und Deiche und ein paar Biegungen hin zum Neßdeich, der Hauptstraße nach Neuenfelde. Er könnte es tun: statt dessen geradeaus weiterradeln, die Alternativstrecke ist so schlecht nicht, und sich die Bemerkung verkneifen, die etwas von persönlichem Beleidigtsein hat – dass nämlich die Grünen, die in Hamburg den Umweltsenator stellen, nun auch noch seinen Lieblingsweg gesperrt haben.

Die Grünen haben in den vier Jahren als Koalitionspartner der regierenden SPD in Hamburg skandalösere Beschlüsse mitgetragen als Naturschutzgebiete auszuweisen und diese sodann abzuriegeln. Warum also nicht: über das vergleichsweise kleine Ärgernis großmütig hinwegsehen? Warum stattdessen: anheben zu einer Tirade wider „diese juristische Ökologie“, die Landschaften nach einem mathematischen Punktesystem zu bewerten können glaubt und verkennt, dass kein Mensch einen Lebensraum als liebens- und damit schützenswert begreift, aus dem er permanent wie ein Feind ausgegrenzt wird?

Es hilft nichts, es muss raus, es muss gesagt werden, Norbert Hackbusch will sich nicht provozieren lassen, immer wieder nimmt er sich das vor, schließlich hat er mit den Grünen seit seinem Parteiaustritt vor knapp zweieinhalb Jahren offiziell schon nichts mehr zu schaffen, und dann treffen seine Parteileute von einst ihn doch zuweilen empfindlich. Wie jetzt. „Das mit dem Naturschutz ist ja bloß ein Beispiel.“ Für die achtlose Aufgabe von Grundsätzen, auch da, wo der Preis des Mitregierens sie gar nicht erzwingt.

„Ich verstehe die Grünen nicht mehr.“ Er sieht jetzt nicht mehr ärgerlich aus, sondern ratlos. „Sie tun Dinge, die nichts mit grünem Selbstverständnis zu tun haben.“ Und wie auf Erhellung drängend wiederholt er seine Verwunderung: „Ich verstehe sie nicht.“ Zu dieser Überzeugung ist er freilich nicht erst neulich gekommen.

Schon im Mai 1999, die Grünen hatten auf einem Sonderparteitag mit knapper Mehrheit den Kriegskurs ihres Außenministers im Kosovo gebilligt, war für Norbert Hackbusch das Maß des Zumutbaren voll. Die pazifistischen Grundsätze waren verraten worden, zugunsten eines in seinen Augen nicht zu rechtfertigenden Angriffskriegs ohne UN-Mandat.

Nach fünfzehn Jahren Mitgliedschaft trat er aus der Partei aus. Einfach so. Ohne großes Geschrei. Sein Bürgerschaftsmandat nahm er aber mit. Wie auch vier weitere grüne Abgeordnete, die nun die Gruppe „Regenbogen – für eine neue Linke“ bilden und bei der Bürgerschaftswahl am 23. September vermutlich jene ein bis drei Prozent Wählerstimmen einfahren werden, die dem rot-grünen Senat an der Elbe zum Weiterregieren fehlen werden.

Die Restgrünen haben ihnen den Austritt nie verziehen – und strafen den Regenbogen seither mit Ignoranz. Denn gegangen ist nicht irgendwer und nicht nur er allein. Sondern auch Heike Sudmann, die profilierte Stadtentwicklungspolitikerin. Lutz Jobs, der Anti-AKW-Experte. Susanne Uhl, die die Ausländerbehörde wegen ihrer Flüchtlingspolitik aufmischte und ansonsten mithalf, die autonomen Häuser an der Hafenstraße zu befrieden.

Keine großen Parteistrategen, keine Kader, keine theoretischen Fundamentalbesserwisser wie Jutta Ditfurth, gewiss nicht, aber volksnahe Macher, linke Überzeugungstäter. Allen voran: Norbert Hackbusch. Ihn aus ihren Reihen verloren zu haben, den Mann, dessen Integrationstalent sie es zu verdanken hatten, dass die Parteilinke 1997 überhaupt dem rot-grünen Koalitionsvertrag zustimmte, war im Grunde genommen für die Regierungsgrünen kaum zu verkraften.

Hackbusch, eine ehrliche Haut, die politischen Rivalen Respekt abnötigt. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dietrich Wersich attestiert Hackbusch und den Seinen – „obwohl es mir schwer fällt und wir mitten im Wahlkampf sind“ – eine „wohltuende Belebung des Parlaments“ und „gute Oppositionsarbeit“: In der vergangenen Legislaturperiode stellten die fünf Regenbogenabgeordneten 362 kleine Anfragen – fast so viele wie die 54 Parlamentarier der sozialdemokratischen Bürgerschaftsfraktion zusammen. Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) nennt Norbert Hackbusch wegen dessen Hartnäckigkeit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des sozialdemokratischen Behördenfilzes anerkennend schon mal „Hacki“.

Denn der Mann, der, ganz hanseatisch, in seinen Reden über jeden spitzen Stein stolpert, war schon innerhalb der Grünen so untypisch wie Gregor Gysi in der PDS. So wundert es wenig, dass es Hackbusch gelang, den PDS-Sympathen für den Hamburger Regenbogenwahlkampf zu gewinnen.

Nur die Grünen schweigen zu all dem beharrlich. Der Austritt der fünf Abgeordneten gefährde die rot-grüne Regierungsmehrheit nicht, ließ Hamburgs zweite Bürgermeisterin Krista Sager nach dem Kosovo-Parteitag knapp verlauten. Dabei blieb es.

Norbert Hackbusch guckt immer noch auf das Schild, das die Umweltbehörde aufgestellt hat. „Es tut schon noch weh“, sagt er dann. Zu sehen, wie sein früherer Nachbar, Kumpel und Freund, der grüne Umweltsenator Alexander Porschke, „so als wäre er die zweite FDP“, jetzt in der Bürgerschaft mit dem SPD-Innensenator Olaf Scholz scherzt. Der hat kürzlich genehmigt, Drogendealern medizinisch umstrittene Brechmittel zu verabreichen. Die Grünen schluckten es widerstandslos.

Es tut weh. Mitanzuhören, wie führende Wirtschaftsvertreter der Hansestadt die Grünen nach vier Jahren Regierungsbank „domestiziert“ nennen. Zu erleben, wie die grüne Wissenschaftssenatorin Sager im jüngsten Herzoperationsskandal am Universitätskrankenhaus Eppendorf abwiegelt anstatt aufzuklären und seine Einwände in der Bürgerschaftsdebatte dann auch noch spitz mit den Worten „Ach, Herr Hackbusch“ abtut. „Es geht um Patientenrechte, um Patientenschutz“, er redet sich in Rage, „grüne Wurzeln also, aber da hat sie kein Verhältnis mehr zu, sie verfrühstückt alles, was wir in vielen Jahren aufgebaut haben.“

Auch deswegen ist Norbert Hackbusch an diesem Spätsommernachmittag unterwegs in Hamburgs Stadtteilen südlich der Elbe. Die Radtour nach Finkenwerder und Neuenfelde war seine Idee – die er so persönlich wie politisch verstanden wissen will. Denn um einen Menschen zu begreifen, heißt es, müsse man dorthin gehen, wo er herkommt.

Vielleicht gilt das auch für eine Partei. Im Fall von Norbert Hackbusch und den Grünen liegen die Wurzeln örtlich dicht beieinander. Er ist im Süderelberaum groß geworden, die Partei hat der Einsatz für den Erhalt des Süderelberaums einst groß gemacht, und heute bekriegen Hackbusch und die Grünen sich unter anderem wegen eines umstrittenen Großindustrieprojekts, das – wo sonst – ebenfalls in dieser Gegend liegt.

Norbert Hackbusch tritt in die Pedale. Geradeaus, nach Neuenfelde: alteingesessene Obstbauern, Werftarbeiter, Sturmflut 1962. Heute viele tief fliegende Flugzeuge und bald noch mehr, die Dasaluftwerft ist in Sichtweite. Der größte Passagierjet der Geschichte, der Airbus A 380, soll hier gebaut werden, Europas letztes Süßwasserwatt, das Mühlenberger Loch, wird dafür trockengelegt, ein ganzer Straßenzug von Neuenfelde wohl abgerissen werden, die Grünen haben zugestimmt.

Norbert Hackbusch, Jahrgang 1955, ist hier aufgewachsen: 55-Quadrameter-Werkswohnung für Vater, Mutter und zwei Kinder. Als der Sohn eines Sommers Schützenkönig zu werden droht, stößt der Vater ihn beim entscheidenden Schuss an: Hackbusch senior hätte sonst alles bezahlen müssen, wenn auch dieser Schuss ins Ziel gegangen wäre. Die Lehrer überreden die Eltern, den Volksschüler Norbert Hackbusch Abitur machen zu lassen. Der Bus kommt morgens um 6.20 Uhr, die Fahrt zum Wirtschaftsgymnasium am Berliner Tor dauert anderthalb Stunden hin und anderthalb Stunden zurück, täglich und drei Jahre lang.

„Mir sind Eltern-Kinder-Konflikte fremd“, sagt Norbert Hackbusch, „als ich nach dem Abi in eine WG nach Hamburg zog, waren beide Seiten froh.“ Sein Studium diente nicht der Selbstverwirklichung, sondern der Notwendigkeit einen Beruf zu ergreifen, der so viel abwirft, dass die Eltern unterstützt werden können. Dieser Wille zur Solidarität mit der Familie wie zur persönlichen Unabhängigkeit gilt bis heute: Als einer der wenigen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten hat Norbert Hackbusch sich von seinem Posten als Leiter der Dokumentation von Gruner + Jahr, Europas größtem Verlag, nicht einmal zeitweilig freistellen lassen.

Wenn der Regenbogenmann heute zusammen mit den Obstbauern gegen die Flugzeugpläne auf die Straße geht, dann nicht aus Nostalgie oder Mitleid mit dem Dorf, sondern weil er gelernt hat, zu kalkulieren, und deshalb weiß: Die staatlichen Investitionen und die Umweltzerstörung sind, verglichen mit dem bis jetzt nur erhofften Nutzen, unverhältnismäßig hoch.

Ein Graswurzelpolitiker ist dieser Norbert Hackbusch, einer, der seine süderelbische Herkunft bekennt. Bei einer Partei ist das mit der Tradition schon schwieriger. Altenwerder, Moorburg, Finkenwerder, Neuenfelde – der Kampf um die Stadtteile südlich der Elbe war eines der Symbole, die Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre zum politischen Aufstieg der grün-alternativen Bewegung in Hamburg führten. Intakte Bauern- und Fischerdörfer dem Ausbau des Hafens oder anderen Industrieanlagen zu opfern, das konkret galt es zu verhindern.

Als Ausdruck der Rebellion gegen die Arroganz der Hamburger Sozialdemokratie, die damals bereits selbstverliebt den Stadtstaat regierte und mit Helmut Schmidt einen Bundeskanzler stellte, der vor lauter Terrorismusbekämpfung die Ängste der Bevölkerung vor Umweltzerstörung, Atomkrieg und Wettrüsten übersah. Um diese gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Änderung ging es den Bürgerinitiativen, Friedensbewegten und Basisgruppen, die sich 1981 zur Grün-Alternativen Liste in Hamburg zusammenschlossen. Und nicht etwa um die Arbeiterklasse; der hatte man sich nie besonders nahe gefühlt. „Mein Vater hat dreißig Jahre auf der Werft gearbeitet“, sagt Norbert Hackbusch, „da kennt man die Kollegen so gut, dass man nicht alle Hoffnungen auf sie setzen kann.“

Von DKP, Jusos und K-Gruppen wurden Leute wie er damals als „bürgerliche Scheißer“ beschimpft, aber die Kritik von links war nicht wirklich verletzend. „Im Unterschied zu den Marxisten hatten wir Lösungen anzubieten.“ Zuweilen allerdings recht einfache. Atomkraft – nein danke. Abschalten sofort. Gorleben soll leben. Brokdorf verhindern. Blockaden am Bauzaun, Pflastersteine und Friedenscamps. Die AKWs Brokdorf und Krümmel wurden trotzdem gebaut. Später rollten die Castor-Transporte ins Wendland.

Norbert Hackbusch legt ein Päuschen ein, der Blick gleitet in die Ferne, bis er ankommt bei der Geschichte, die ihm plötzlich wieder einfällt, sie spielt in Gorleben: „Es war der erste Castor, und wir waren noch in der Opposition.“ In Hamburg wie im Bund. Doch Joschka Fischer war schon damals die prominenteste Figur, die die Partei zu bieten hatte. Es war klar: Wer mit ihm konnte, aus dem würde etwas werden. Krista Sager konnte. „Auf jedem Foto, das von ihm gemacht wurde, wollte sie auch sein, dabei waren wir doch da, um die Straße zu blockieren.“

Er sagt nur: „Es war ekelhaft.“ Aber im nächsten Moment sieht er schon wieder aus, als bereue er das eben Gesagte bereits wieder. Norbert Hackbusch möchte nicht als jemand gelten, der abrechnet. Nicht mit Menschen. „Ich kann sie ja sogar ein bisschen verstehen“, sagt er über Krista Sager. „Dass sie so an der Partei klebt und gar nicht anders kann.“ Und grinst. „Was wären unsere grünen Hamburger Senatoren ohne ihre Pöstchen?“

Er wartet erst gar nicht eine Antwort ab. „Krista Sager: eine gescheiterte Lehrerin. Alexander Porschke: Basismitarbeiter der Umweltbehörde. Willfried Maier: müsste sich mit Arbeitslosen beschäftigen, die er schon immer gehasst hat.“ Norbert Hackbusch versucht nicht länger, das Lachen zu unterdrücken. „Die können sich etwas anderes als die Grünen doch gar nicht leisten.“ Und das merkt man ihnen an. In Hamburg werden sie als fahle Amtsträger wahrgenommen. Aber woher soll der Glanz auch kommen? Politisch verkörperten sie nie das Charisma der grün-alternativen Bewegung – und wundern sich nun, warum sie nicht geliebt werden.

Es ist wohl ein Leichtes, als Aufrechter dazustehen, wenn man jeglichen Kompromiss ablehnt. Eine Rolle, die in jedem Fall mehr Sympathie einbringt als die Regierungsverantwortung. Er hat diese Vorwürfe zu oft gehört, als dass sie ihn noch aufregen könnten. „Ich finde, dass ich mich ziemlich bewegt habe. Ich, der Basismensch, habe immerhin einen Koalitionsvertrag unterschrieben, weil ich dachte, er ist gut für Hamburg.“

Kann er also etwas dafür, wenn dessen Inhalte nicht umgesetzt wurden? Ist es seine Schuld, wenn in Hessen wieder Schwarz-Gelb regiert und in Niedersachsen die SPD mit absoluter Mehrheit? Waren die Verluste nicht immer den Grünen zuzuschreiben? Na also. Und doch wohl bestimmt nicht, weil die sich als zu links oder zu kompromisslos gebärdet hätten.

Nach der Wahl – die erstmals seit 44 Jahren die SPD von den Senatsbänken ausschließen und die Grünen gleich mit in die Opposition schicken könnte – würde Hackbuschs Analyse für Hamburg ähnlich lauten. „Natürlich wünsche ich ihnen das nicht – trotz allem.“ Aber zu ändern sein wird es auf mittlere Sicht vermutlich trotzdem nicht. Als er am Ende der Fahrradtour auf dem Elbdeich steht, guckt er geradewegs auf das Hamburg nördlich der Elbe. Er sagt ohne Schadenfreude: „In vier Jahren sind die Grünen weg.“

HEIKE HAARHOFF, 32, taz-Reporterin, hat bis 1999 bei der taz hamburg gearbeitet, ebenfalls als Reporterin sowie als Ökoredakteurin