Sampler‘s Delight

Jeder Song ist eine wunderbar große Schatzkammer: Mit der CD „Sampled“ gibt es jetzt erstmals eine Sammlung mit 40 Originalsongs, deren Loops und Breaks die Grundlage für neue Hits bildeten

von GEORG HERMENS

Dass Kunst aus Kunst gemacht wird und ein immer neues Spiel mit Zitaten und deren Verfremdung ist – das wissen Literatur und bildende Kunst schon lange und handeln dementsprechend. Nur in der Popmusik ist der lustvolle bis gezielte Gang durch den Selbstbedienungsladen Geschichte immer noch mit dem Makel der Ideenlosigkeit und des Diebstahls behaftet (wo doch schon Brecht bekannte, mit den Dingen des geistigen Eigentums sehr freizügig umzugehen).

Nach zahlreichen label- oder genrespezifischen Compilations (z. B. die Blue Note Break Beats oder zuletzt die Jubiläumsausgabe der empfehlenswerten Mastercuts-Serie) gibt es mit „Sampled“ jetzt erstmals eine übergreifende Sammlung mit 40 Originalsongs, deren Loops und Breaks Vorlagen für neue Hits waren und sind. Dabei reicht die Spanne von aktuellen Beispielen wie Janet Jacksons „All for you“ (in dem ihre Haus- und Hofproduzenten Jimmy Jam & Terry Lewis witzigerweise die von ihnen einst produzierten Change sampeln) über Klassiker wie Fatboy Slims „Rockafeller Skank“ oder „Connected“ von den Stereo MCs bis zu den Anfängen der HipHop- und damit auch der Sampling-Kultur: Das damals dutzendfach verwendete „Think“ von Lynn Collins (beispielsweise in „It Takes Two“ von Rob Base) ist dabei ein Track, mit dem alles begann, auch wenn es nicht der Track ist.

Denn „Good Times“ von Nile Rodgers und Bernward Edwards, dem Produktionsteam hinter Chic, lieferte den Backing-Track für den ersten Rap-Hit: Zu „Rappers Delight“ von der Sugarhill Gang. Mitte der Siebziger hatten DJs in New York nicht mehr nur einzelne Stücke ineinander geblendet, sondern mit Hilfe zweier Turntables aus diversen Soundfragmenten neue Stücke gemischt – über die dann ein MC live rappte. Wobei streng geheim blieb und bleiben sollte, welche Platten der DJ benutzte – die ganze Rap-Szene schottete sich hermetisch ab und pflegte den Gestus eines Geheimzirkels. Zunächst wurden die Samples im Studio live aufgenommen, bis die Erfindung des Samplers dieses Problem löste. Gesampelt und „geklaut“ wird seitdem immer: zuerst nur im HipHop und speziell Soul, Funk- und Discostücke. Nachdem HipHop-Combos wie Gang Starr sich Anfang der Neunziger kräftig im Jazz bedienten, sampelten dann bald alle alles: Im Moment sind passend zur Rückkehr der Nietengürtel, Karottenhosen und Netzhemden die Achtziger schwer en vogue. Wobei man eigentlich kaum noch von einem herrschenden Revival reden kann. Eigentlich existieren die Stile, Moden und Sounds aller Jahrzehnte nebeneinander und sind ein Fundus, der für alle immer da ist.

Wichtig dabei stets die Frage des Preises: Die Geschichten sind Legion, in denen Musiker durch nicht geklärte Samples finanziell oder künstlerisch in den Ruin getrieben wurden. Denn das Urheberrecht besagt, dass man erstens die Rechte des Komponisten oder des ihn vertretenden Musikverlags und der Plattenfirma einholen muss, der die Rechte an der betreffenden Aufnahme gehören. Vorausgesetzt sie haben die nötige „Schöpfungshöhe“, sind also eigenartig genug.

Schwer traf es The Verve. Die sampelten für „Bittersweet Symphony“ die orchestrale Muzak-Version von „The Last Time“ von den Rolling Stones und holten sich dafür informell die Erlaubnis bei den Stones und bei Andrew Oldham, dessen Orchester die Version eingespielt hatte. Aber sie hatten nicht bedacht, dass alle Stones-Rechte einem gewissen Allen Klein gehören. Der schlug ohne Erbarmen zu: Alle Tantiemen der 2 Millionen verkauften Singles gingen am Ende auf sein Konto. Die Konsequenz daraus zieht Moby, der einen Anwalt nur für Samplingfragen beschäftigt und sich das pro Jahr 150.000 Mark kosten lässt. Samplingexperte Dr. Dre dagegen bezahlt mit Mike Elizondo einen mittlerweile extrem gefragten Bassisten eigens dafür, dass er die zu sampelnden Sounds einfach nachspielt. Was billiger kommt, als sich die Samples für viel Geld freigeben zu lassen. Oder noch schlimmer – für illegale Samples im Nachhinein gleich doppelt und dreifach zu zahlen. Oder als ultimative Katastrophe, die Platten einstampfen zu lassen. Der HipHopper Nas musste sein „Hate me now“-Duett mit Puff Daddy noch mal neu einspielen – ohne Carmina-Burana-Sample, derenthalben die Witwe von Carl Orff den Verkauf des ganzen Albums stoppen ließ. So verdienstvoll die Veröffentlichung von „Sampled“ ist (in England sind bereits zwei andere Compilations erschienen): Die nicht eben historische und wenig spezifisch deutsche Auswahl der Tracks hätte sorgfältiger sein können. Und ein paar liebevolle Liner-Notes, die die Geschichte und Hintergründe des Samplings und der einzelnen Tracks transparent machen, fehlen ebenfalls.

Denn wozu führt eine solche Zusammenstellung? Genau: Dazu, abseits des Chartsgeschehen oder gerade ausgerufener Trends Ausflüge in die Musikgeschichte im Allgemeinen und diverse Genres im Speziellen zu starten. Genau da liegt auch der Verdienst und die Anregung: Künstler aus der Versenkung zu holen, die zu Unrecht dem Vergessen anheim gefallen sind. Camille Yarbrough, deren „Take Yo’ Praise“ die Vocals zu Fatboy Slims „Praise You“ lieferte, durfte sich nachher über eine Wiederveröffentlichungswelle und ein paar Dollar in der Kasse freuen. Wobei jener Norman Cook (alias Fatboy Slim) die Kehrseite des Samplings kennen lernen durfte, als er gerade mal drei Zeilen aus einem obskuren Poetry-Bootleg von Doors-Sänger Jim Morrison für „Bird Of Prey“ benutzte. Wütende Doors-Fans wünschten dem ihrer Meinung nach Nichtswürdigen deswegen alles Unglück dieser Erde an den Hals.

Dabei wollte Norman nur, was die meisten Musiker mit Sampling erreichen möchten: ihre Freude und Begeisterung für ein paar Sequenzen Musik mit möglichst vielen anderen Menschen teilen.

„Sampled“: 40 Original Soul, Funk, Jazz & Disco Tracks (Virgin)