Formation der Friedensbewegten

3.000 SchülerInnen machten gestern in Berlin gegen den Krieg mobil. Auch die Organisatoren zweier Großdemos hoffen nun auf rege Teilnahme

von HEIDE OESTREICH
und ULRICH SCHULTE

Mit Filzstift malt Katarina noch schnell auf die Rückseite ihres Din-A4-Blocks, warum sie hier ist: Frieden. Um diese Forderung in den blauen Himmel über dem Alex zu halten, nimmt Katarina unentschuldigte Fehlstunden in Kauf – ebenso wie die über 3.000 SchülerInnen, die gestern gegen die Angriffe der USA auf Afghanistan protestierten.

Junge KriegsgegnerInnen von über 20 weiterführenden Schulen zogen, begleitet von Samba-Trommlern und einem halben Dutzend Polizeifahrzeugen, durch Berlin-Mitte. Ihre Forderung, die sich auf selbst gebastelten Plakaten und Transparenten sinngemäß dutzendfach wiederholte: der sofortige Stopp der Angriffe. „Man darf auf Terror nicht mit Krieg antworten“, sagte Mitorganisatorin Xenia Neploch. Terror entstehe nämlich vor allem durch Unterdrückung und Armut einiger Länder – woran auch die USA schuld seien.

Bereits am Sonntagabend hatten sich auf dem Berliner Alexanderplatz spontan etwa 200 DemostrantInnen versammelt. Gegenüber bildeten die leuchtenden Fenster eines leer stehenden Hauses ein riesiges „Peace“-Zeichen – der ChaosComputerClub feiert dort seinen 20. Geburtstag und hatte die Lichtanlage entsprechend geschaltet. Auch in anderen Städten, unter anderem in Bonn, Bremen und Münster versammelten sich kleinere Gruppen von 150 bis 200 Menschen. Für gestern Abend wurden in allen größeren Städten von Augsburg bis Wuppertal Aktionen angekündigt.

Seit längerem schon mobilisiert die Friedensbewegung für die Teilnahme an zwei Großdemonstrationen am kommenden Samstag in in Berlin und Stuttgart, dem Sitz der US-Kommandozentrale in Europa Eucom. Seit Sonntagabend steht das Telefon im „Demo-Büro“ in der Berliner Humboldt-Universität nicht mehr still. „Gestern haben wir 10.000 Flugblätter gedruckt, jetzt müssen wir schon nachdrucken“, heißt es. Die Stimmung habe sich „sehr geändert“.

Was bisher lediglich zu einer Demonstration von Befürchtungen zu werden drohte, ist seit Sonntagabend zu einer Kundgebung gegen reale Militärschläge geworden: „Es ist klar, dass bei den Bombardierungen auch Zivilisten getroffen wurden“, erklärt Clemens Rönnefeldt vom Internationalen Versöhnungsbund, „wir fordern die umgehende Einstellung der Kämpfe.“ Die Täterschaft Bin Ladens stehe noch nicht einmal zweifelsfrei fest, da schlügen die USA schon mit aller Gewalt zurück.

Der US-amerikanische Präsident George W. Bush habe zudem angekündigt, die Schläge vom Wochenende würden nicht Bin Laden gelten. „Offensichtlich“, so Rönnefeldt, „instrumentalisieren die USA die Terrorbekämpfung, um die geopolitische Lage in Zentralasien neu zu ordnen.“ Die USA, so der Sprecher des Versöhnungsbundes, wollten nun die Kontrolle über die Energie- und Rohstofflager in den Republiken der Südflanke Russlands sichern.

Das Klima für einen zivilen Umschwung in Afghanistan sei günstig gewesen, erklärt Rönnefeldt, viele führende Mitglieder der Taliban hätten ihre Bereitschaft zum Überlaufen signalisiert. „Jetzt werden sich die Islamisten konsolidieren und eine antiamerikanische Front bilden“, schätzt er. Die USA hätten nicht die geringsten Anstalten gemacht, mit polizeilichen Methoden gegen die Terroristen vorzugehen. „Der Sündenfall der westlichen Welt war, die Terrorangriffe als Angriffe eines Staates zu werten.“ Auch noch den Nato-Bündnisfall auszurufen, sei die „endgültige Aushebelung des Völkerrechts“, so Rönnefeldt.

Auch Martin Singer vom Komitee für Grundrechte und Demokratie verweist auf die seines Erachtens widersinnige Auslegung des Völkerrechts: „Alle Kommentatoren waren sich bisher einig, dass ein Angriff von außen, wie er in der UNO-Charta beschrieben wird, von einem staatlichen Akteur ausgehen muss.“ Dass die UNO den USA in diesem Fall ein Selbstverteidigungsrecht einräumte, wischt er beiseite: „Die UN und Kofi Annan sind doch ein Spielball der USA. Warum haben die USA ausgerechnet jetzt 582 Millionen Dollar an die UNO überwiesen – und vorher haben sie sich jahrelang geweigert, ihre Beiträge zu zahlen?“

Wenn man die Taliban als staatlichen Akteur betrachte, dann hätte man mit ihnen auch über die Auslieferung Ussama bin Ladens verhandeln müssen, meint Singer: „Die Taliban waren verhandlungsbereit, aber die USA wollten nicht. Man kann doch nicht einen Krieg führen, ohne einen Dialog überhaupt zu versuchen!“ Zeitgleich mit den Bomben auch noch Lebensmittel abzuwerfen, hält er nur noch für zynisch. Das Komitee für Grundrechte hat eine Petition an den Deutschen Bundestag formuliert, in der die Abgeordneten aufgefordert werden, die Solidaritätserklärung mit den USA zu widerrufen. Doch von den dort vertretenen Parteien erwartet Singer nicht mehr viel: „Mit den Grünen zu reden, hat keinen Sinn. Von denen kommt doch nur Rechtfertigungsrhetorik.“

Aber auch mit der PDS will das Komitee nicht zusammenarbeiten: „Die würde genauso umfallen, wenn sie an der Regierung wäre“. Stattdessen setzt man auf außerparlamentarische Arbeit wie die Demonstrationen am Samstag. Seit Sonntag hofft man auf rege Beteiligung. Wollte das „Demo-Büro“ bisher keine Angaben über erwartete TeilnehmerInnenzahlen machen, hieß es gestern: „Einige tausend werden es mit Sicherheit.“