Wenn Verzweiflung am allergrößten ist

Ernste Geschichten am Anfang des neuen Jahrtausends: Die ganz schön kaputte Welt von Christian Kracht, Rebecca Casati und Joachim Bessing

Schlimm das, ein Grund zu sagen: Fight This Generation. Und her mit den Kriegen, Dramen und Helden. Das liest sich wie die totale Schwindsucht, wie ein lauter Schrei nach Autorität und ein stiller nach Liebe

von GERRIT BARTELS

Anzunehmen, dass die fünf Herren von „Tristesse Royale“ im Moment mehr denn je zitiert bekommen, was sie vor zwei Jahren am Kaminfeuer des Adlon alles so gesagt und niedergeschrieben haben: „Wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten“ (Alexander v. Schönburg); „Es gibt noch einen anderen Ausweg, und das ist wiederum der Krieg“ (Christian Kracht); „Ich glaube eben, die Bombardierung der Stätten des Falschen von innen heraus wird die Zukunft sein“ (Joachim Bessing). Nun heißt es, da die Wirklichkeit regiert und die Fiktion und die Vorstellungskraft um Längen geschlagen sind: fünf Männer, ein Wort, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Da wird Verantwortung eingefordert, da ist der Spaß vorbei, da muss Christian Kracht schon mal die ganz schlaue Frage der FAZ beantworten, ob er jetzt, da ein Krieg bevorzustehen scheint, bereit sei zu kämpfen? Und, als er sagt, dass es ihm als Schweizer verboten sei, für ein fremdes Land zu kämpfen: „Bedauern Sie es, in dieser Situation Schweizer zu sein?“ Das haben sie nun davon, jene fünf Autoren, die durchdeklinieren wollten, wie man entkommen könnte aus dem „Teufelskreis der Kollektivierung des Individualismus“, wie es aussehen könnte am Ende der Spaßgesellschaft, wo selbst ausgesuchteste Genüsse nicht mehr helfen, weil der Landwirt aus Rendsburg sie auch schon kennt: Sie werden wahlweise entweder als Provokateure, Zeitgeist-Junker, Mediensurfer, Arschlöcher bezeichnet. Oder gegebenfalls doch gern beim Wort genommen. Sie sind entweder eine Gruppe besonders widerlicher, dekadenter Individuen, ein Splittergrüppchen, das man ernst nehmen kann oder auch nicht. Oder doch Vertreter einer ganzen Generation – und dann heißt es: Obacht.

Am besten aber ist es, sich die neuen Bücher von Christian Kracht, Joachim Bessing und der zu ihrem Umfeld gehörenden Rebecca Casati vorzunehmen. Um in der „Tristesse Royale“-Terminologie zu bleiben: Das Empire schlägt zurück. Es ist gewillt, auch im neuen Jahrtausend ernste Geschichten zu schreiben, Geschichten jenseits der Ironie, Geschichten, in denen ernst gemacht wird. Eher auf der Oberfläche befinden sich dabei Spuren von Pop. Krachts „1979“, Bessings „Wir Maschine“ und Casatis „Hey Hey Hey“, wecken durch ihre Titel so Assoziationen: an die Smashing Pumpkins („1979“) an Blumfeld („Ich-Maschine“) oder Elvis („Hey Hey Hey“). Auch mit Widmungen wie „For Those Who Know“ (Achtung, Distinktionsfalle!) oder für den verstorbenen Popschreiber Olaf Dante Marx sowie Zitaten von New Order oder Bryan Ferry wird nicht gespart.

Und natürlich hat Casatis Ich-Erzähler einen Soundtrack, der sein Leben bestimmt (rotes/blaues Album der Beatles); lässt sich Bessings Held seitenweise über die französische Band „Air“ aus, die gezeigt hat „dass es in diesen Zeiten sehr wohl noch möglich ist, Gefühle zu zeigen“, hört Krachts Erzähler Blondie und Devo. Auch sonst wird mit Markennamen nicht gespart, werden die Lebenswelten der Autoren in Szene gesetzt. Allerdings dürfte man die in Aachen oder Wolfsburg genauso kennen wie in Paris oder Berlin; wenn nicht, ist auch nicht schlimm.

Denn unter dieser Oberfläche sind vor allem die Romane von Kracht und Bessing Antipop: Auslöschungsgeschichten und Untergangsgeschichten, in denen Kaputtness regiert und man die Figuren solcherart charakterisieren kann: „Immer werde ich gefahren, nie bin ich am Steuer.“

Die Romane sind konventionell erzählt und kommen ohne größere Experimente hinsichtlich Form und Stil aus; sie laufen jedoch gut und schwer aus dem Ruder, wie der von Kracht; kriechen moralisch, gesellschaftskritisch und leicht psychedelisch aus der Schreibstube, wie der von Bessing. Und sollen zumindest bei Rebecca Casati eine Art Generationsbeschreibung sein, mal gemessen an einem Satz aus „Hey Hey Hey“: „Das Leben, die Liebe, das ist doch alles kein Film, kein Popsong und kein ,Himmel und Hölle-Spiel‘“.

Die „Generation“ ist bei Rebecca Casati ein in München lebender Mann Mitte zwanzig, von Beruf Online-Redakteur, der wenig zu erzählen hat über sich, außer: „Ich ficke mich einmal durchs Alphabet.“ Damit hofft er, eine „Durchschnittsgeschichte“ zu bekommen; und damit hofft Casati, wenigstens eine halbgute Geschichte erzählen zu können. Doch mehr als Junkfood für Allegra-Leser und Men’s-Health-Leserinnen, ohne denen zu nahe treten zu wollen, hat sie nicht hinbekommen Hier eine B., dort eine Z., Betrachtungen über Kaugummi-Mädchen, Porno-Mädchen, Seitenhiebe auf „New-Economy-Fressen“, auf Schwabinger, oder Schöneberger – gute Güte!

Casati hätte lieber über eine richtige Arschlochfrau schreiben sollen, das wäre interessant gewesen, auch im Hinblick auf das Adlon. Da hilft auch der Bogen nicht, den sie am Ende über ihr Buch spannt: Bindungsunfähigkeit, Orientierungslosigkeit, Generation X, Pop oder Lost galore. Ihr Held erzählt nämlich alle seine Abenteuer einer alten Krankenschwester, die an seinem Krankenbett wacht. Und diese weiß: „Sie schaffen es offenbar nicht, jemanden zu finden, mit dem sie erwachsen werden können. Dabei zitieren sie Nabokov und die Beatles – das tat man bereits zu meiner Zeit. Hat ihre Generation denn überhaupt keine neuen Ideen hervorgebracht, keine eigenen Helden?“ Nein, lautet die Antwort: „Keine Kriege, keine echten Dramen und keine Helden.“

Schlimm das, traurig das, ein Grund zu sagen: Fight This Generation. Und her mit den Dramen und Helden, die nur durch einen richtigen Krieg hervorgebracht werden können! Doch vielleicht hat Rebecca Casati das gar nicht so gemeint. Vielleicht hat sie das nur hingeschrieben, um wie ihr Erzähler „die Diskussion nicht ausufern zu lassen“.

Es geht aber auch anders. Wenn die Verzweiflung am allergrößten ist, wenn der Spaß am allerwenigsten noch einer ist, dann muss die Geschichte des Verschwindens konsequent fortgeschrieben werden, dann schickt Christian Kracht einen seiner Helden nicht mehr auf eine sentimentale Reise durch Deutschland, wie in „Faserland“, sondern in den Iran zuzeiten der Revolution 1979. Dort gehen die Lichter aus, dort beginnt eine neue Zeit. Diese ist jedoch nicht auf der Seite von Krachts Helden: Dem stirbt nach einem Party-Drogen-Exzess nicht nur der Lebensgefährte, der wird auch noch nach China geschickt, wo er einen heiligen Berg finden und im Uhrzeigersinn umkreisen soll. Er reist, wie ihm befohlen, sucht und findet besagten Berg und umrundet diesen zu Fuß und auf Gummiböcken. Am Ende landet er in einem chinesischen Arbeitslager.

Das ist absurd, das ist schrecklich. Das liest sich wie ein ganz subtiler Splatterroman, wie die totale Schwindsucht, wie ein lauter Schrei nach Autorität und wie ein stiller nach Liebe. Moral kennt dieses Buch keine, Ideologien auch nicht. Umso mehr aber Schweinereien: große Hakenkreuze auf T-Shirts, unter denensteht: „The Shah rules OK in ’79“; Hakenkreuze aus Eis und Fels, Mönche, die sich einen wedeln, die sich über eine Brooks-Brothers-Unterhose freuen.

Für Krachts Helden macht das alles keinen Unterschied. Der begrüßt die Abmagerung auf 38 kg im Arbeitslager genauso wie die tägliche Lektüre von Maos Schriften zum Einschlafen. Ihm geht es vor allem um eins: Um innere Reinigung, selbst wenn mehr Außen als Innen ist, um Freiheit – und wenn 1.000 Peitschenhiebe dafür nötig sind.

Krachts Kompagnon wiederum, Joachim Bessing, sein Begleiter seinerzeit am Fluchtpunkt Pnom Penh, hat mit „Wir Maschine“ ein Buch geschrieben, das man als Kritik an der Medienwelt und insbesondere der der Werber verstehen kann. „Wir Maschine“ erinnert an Beigbeders „39.90“, ist deutscher, schwerer, will mehr als nur Abrechnung sein, und, einmal mehr, auch an Bret Easton Ellis’ „Glamorama“. Was nicht zuletzt an einem rechtsrevolutionären Bombenleger namens Bernd liegt, einem Nerd mit Rage-against-the-machine-Shirt, der Sachen sagt wie: „Da muss eine Verunsicherung her, eine tiefe Erschütterung. Die Angst muss wieder umgehen. Dann ändert sich alles.“ Der jagt nicht nur Dönerbuden und Drogentreffs in die Luft, sondern am Ende auch den Medienproduzenten Francis Gurt. Von innen heraus bomben, kann man das wohl nennen. Und: Ronald Schill lässt grüßen.

Zentrale Figur von Bessings Roman aber ist Gumbo. Der will ein großer Werber werden, der will nach oben. Der lernt erst Leute wie die lesbische Barbara lieben, dann den Fotografen Walter oder den einstigen Werberstar und Alkoholiker Alfred. Gumbo richtet sich ein mit Lounge-Stühlchen von Eames, trägt Hemden von Helmut Lang etc., alles auf Pump. Und der fällt die Leiter wieder runter, um bald in Richtung Milchstraße zu verschwinden. Ja, genau, Milchstraße, you know: Milchstraßenverlag, Zentrum des Universums. Haben wir gelacht.

Bessing gelingt es zuweilen gut, die leeren Werberseelchen darzustellen, das sitzt perfekt und zugenäht. Mitunter fehlt es ihm an stilistischer Sicherheit, da weiß er nicht, ob er Tom Wolfe oder Thomas Bernhard kopieren will. Die besten Stellen in „Wir Maschine“ aber sind die, an denen man gar nicht mehr weiß: Wer wie wann? Da dräut und schwurbelt es, da fällt man in Zeit- und Bedeutungslöcher, da warten herabstürzende Okulare, summende Bälle, Höllenhunde, Morgensterne, Himmelsleitern und ähnlich Surreal-Psychedelisches; und da liegt dann, ganz genau weiß man es nicht, auch Hamburg in Trümmern.

Apocalypse now und später. Kein Ausweg, nirgends, kein heller Schimmer, nur der der fünf Reiter, die ihre Kreise ziehen. Krankenzimmer, Arbeitslager, Milchstraße. Dahin löst er sich auf, der Strang der Popliteratur, der soviel Aufregung verursacht hat. Fehlt bloß noch, dass sich jemand beklagt, dass die Popliteratur noch keine Texte über den Terror und die veränderte Weltlage geschrieben hat.

Christian Kracht: „1979“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 184 S., 34,89 DM (17,80 €); Joachim Bessing: „Wir Maschine“. DVA, Stuttgart 2001, 206 S., 39,80 DM (20,30 €); Rebecca Casati: „Hey Hey Hey“. Diana, München 2001, 220 S., 35,07 DM (17,90 €)