Begehrt, umstritten, gefürchtet

Der Literaturnobelpreis trifft gern die Falschen und sorgt für Schreibhemmung und Tod

STOCKHOLM taz ■ „Nur ein Menschenfeind kann auf so etwas Fürchterliches wie den Nobelpreis spekulieren“, weigerte sich der 69-jährige George Bernhard Shaw den Preis entgegenzunehmen, der ihm 1925 verliehen worden war. Erst nach einjährigen Überredungskünsten nahm er die Ehrung verspätet an und schenkte die Preissumme einem Wohltätigkeitsfonds. Es half nichts: Nach dem „Todeskuss“ (John Steinbeck) aus Stockholm floss dem irischen Dramatiker nichts qualitativ Hochstehendes mehr aus der Feder. Womit er in den 100 Jahren, in denen der Preis verliehen wurde, nicht allein stand.

Ernest Hemingway bekam nach der Ehrung eine andauernde Schreibhemmung und erschoss sich wenig später. Den Freitod nach dem Preis suchte auch Yasunari Kawabata, Japans erster geehrter Literat und der Schwede Harry Martinson. T.S. Elliot, Preisträger von 1948: „Der Nobelpreis ist das Ticket zur eigenen Beerdigung. Niemand hat danach noch etwas Gescheites produziert.“

Meist ist es eben ein „Lebenswerk“, das die Schwedische Akademie für preiswürdig hält und um ein solches aufweisen zu können, muss man ein gesetztes Alter aufweisen können – für PreisträgerInnen, die jünger als 50 Jahre waren, braucht man zum Aufzählen nicht einmal die Finger beider Hände. Dabei hieß esTestament des Dynamit-Erfinders und Großindustriellen Alfred Nobel, jeweils den Schriftsteller zu ehren, „der sich im vergangenen Jahr“ durch ein Werk „idealistischer Richtung“ besonders hervorgetan habe. Da wurden reihenweise Nieten gezogen. So war „Quo Vadis“ von Henryk Sienkiewicz preiswürdiger als Tolstois „Krieg und Frieden“, Paul Heyse wurde als „größter deutscher Lyriker seit Goethe“ prämiert. Ab den zwanziger Jahren wurde man mit Knut Hamsun, Anatole France, Shaw und Thomas Mann dann doch etwas treffsicherer und begründete den Ruf des Nobelpreises als höchste literarische Ehrung. Was die Entscheidungen der Akademie nicht – oft überaus heftiger – Kritik entzogen hat. Mit dem Kommunismus hatte man Probleme, weshalb Maxim Gorki übergangen wurde, Paul Claudel dagegen war zu katholisch, Alberto Moravia zu erotoman, Graham Greene zu erfolgreich. Frau sollte man sowieso nicht sein, will man den Preis haben: Erst sieben schafften diese Ehre, davon zwei im letzten Jahrzehnt. War man in Stockholm in den ersten Jahrzehnten stark eurozentristisch ausgerichtet – 74 der einschließlich Naipaul nunmehr 98 PreisträgerInnen kommen aus Europa - und vergaß auch Minisprachgruppen wie isländisch, finnisch, hebräisch und provenzalisch nicht, wurde der Anspruch ein „globaler“ Preis zu sein, in den letzten Jahren etwas besser eingelöst.

Auch der diesjährige Preisträger könnte übrigens wie mancher illustre Vorgänger literarisch verstummen: „Ich habe schon viel zu lange geschrieben“, sagte V. S. Naipaul einmal. Er schreibe wegen des Geldes weiter. Das hat er jetzt: der Preis ist mit 1,1 Millionen Euro dotiert.

REINHARD WOLFF