buchmessern
: Frieden geht durch Gespräche und den Magen

Wieder einmal Wirklichkeit

Eigentlich müssten sie die umjubelten Stars der Messe sein, gäbe es doch ohne sie weder Bücher noch Buchmessen: die Autoren. Aber im immer dichter werdenden Durcheinander in den Messehallen verlieren sie sich wie alle anderen. Auch an den Verlagsständen muss man schon genau hinsehen, um sie zwischen Presseleuten, Lektoren, Verlagsrepräsentantinnen und Besuchern zu entdecken.

Nicht zu übersehen am Eichborn-Stand ist zumindest der wuchtige Dietrich Schwanitz, der gelassen die Fragen einer Journalistin beantwortet, ein Bestsellerautor, wie ein Kollege raunt, der wahrscheinlich Bücher pro Minute drehe und verkaufe. Bei Kiepenheuer & Witsch sitzt Uwe Timm in einer Ecke, und auch Christian Kracht, der vermeintliche Superstar in diesem Jahr, steht herum, gibt Autogramme, lässt sich Zigaretten bringen, wird umringt von seinen Kumpels Joachim Bessing und Ingo Niemann.

Komisch nur, dass am Stand sein Buch gar nicht richtig ausgestellt ist – vielleicht ist es ja auch wirklich nicht nötig, vielleicht geht es dem Publikum genauso wie dem Literaturbetrieb auf den Verlagsempfängen: Über kein Buch wird dort so viel geredet wie über „1979“.

Besser, als willkürlich herumzuflanieren, ist es, gezielt zu Lesungen zu gehen. Zu Ulla Hahn zum Beispiel, die zierlich wirkt und kaum zu erkennen ist hinter den vielen Menschen, die ihre Lesung aus „Das verborgene Wort“ verfolgen. Mit Lesen und Schreiben fängt das Leben doch erst an, sagt sie bei der Vorstellung ihres Buches sehr schön.

Diesen elementaren Satz im Ohr, treibt es einen weiter zu Florian Illies in das so genannte Azubistro in der Halle 6.3. Dort haben es sich gut hundert junge Menschen und vor allem Mädchen schon auf dem Fußboden bequem gemacht und warten auf Illies: Smells like teen spirit. Gekreische gibt es zwar nicht, doch Illies weiß sein Publikum gut zu unterhalten mit seinem Buch über das schlechte Gewissen. Selbst eine kurzzeitige Unterbrechung, bei der ein älterer Sicherheitsmann das Jungvolk sehr ruppig auffordert, eine Gasse zu bilden, baut er gekonnt in seinen Vortrag ein. Anekdotismus rules, und Florian Illies ist ein Popstar.

Eher kein Pop ist die Präsentation „Das chinesische Prinzip in der NVA“, bei der es um den Umgang der SED mit den Generälen und Offizieren in der frühen NVA geht. Diese ist im Messe-Veranstaltungskalender falsch ausgezeichnet, und nach einer etwas längeren, aber dann doch erfolgreichen Suche liegen am Stand des Dr. H.-J. Köster Verlags auch nur die dazugehörigen Broschüren aus. Schön jedoch – ein Buchmessenphänomen –, dass sich selbst diese Präsentation in Beziehung setzen lässt: Gibt es nicht auch bei Christian Kracht ein chinesisches Prinzip?

Dann, um genau 14.47 Uhr, setzt sich wieder einmal die Wirklichkeit in Beziehung zur Buchmesse, da gibt es eine Gedenkminute für die Opfer des Terroranschlags vor genau einem Monat in New York. Ein sehr intensiver und nachdrücklicher Moment. Da erinnert man sich aber auch sofort daran, wie schwer die Verlage sich damit tun, ihren abendlichen Empfängen einen entsprechenden Rahmen zu geben; wie viel Wert darauf gelegt wird, dass es dabei um „Gespräche und Begegnungen“ geht, nicht um Feiern; und wie bei einem Verlag ein Buffet sich gleichberechtigt aus amerikanischen, jüdischen und arabischen Spezialitäten zusammensetzt: Frieden geht halt durch den Magen.

Auch beim Empfang von Kiepenheuer & Witsch am Abend im Batschkapp geht es natürlich nicht ohne die Einbeziehung des 11. September. Am Ende seiner Rede aber weiß Verlagsleiter Helge Malchow lediglich, dass man nichts anderes machen werde als in den Jahren zuvor, nämlich Bücher, und dass diese halt nötiger denn je seien.

Damit lässt sich leben. Schon schwerer haben die KiWi-Verantwortlichen sicher daran zu knapsen, dass sie, wie man hört, vor zwei Wochen erst die Rechte an ihren nicht wenigen V.-S.-Naipaul-Büchern an die Konkurrenz vom Claasen-Verlag verloren haben – bitter, aber eben das Business.

Das anwesende Publikum aber geht trotz dieses herben Schlages zur Abendordnung über, erklärt die Batschkapp – eigentlich ein legendäres Frankfurter Konzertvenue – zu einem sehr gelungenen Veranstaltungsort für ein KiWi-Verlagsfest, von wegen Popliteratur und so; und es unterhält sich dann der Abwechslung halber auch mal wieder über Popmusik, über Konzerte von den Housemartins, Giant Sand oder Jeffrey Lee Pierce, die man hier einst gesehen hat. Dass Nick Hornby dabei zusammen mit Hans Nieswandt Platten auflegt, fällt dabei gar nicht weiter auf.

GERRIT BARTELS