„Eine verheerende Bedrohung“

Thomas Grumke, Experte für die rechtsextreme Szene in den USA, über die möglichen Urheber der Anthraxattacken

taz: Könnten Ihrer Einschätzung nach Rechtsextreme in den USA für die Anschläge mit Milzbranderregern verantwortlich sein?

Grumke: Sie sind jedenfalls sowohl ideologisch als auch technisch dazu in der Lage. Über so einen gezielten Schlag zur Vorbereitung der „arischen Revolution“ wird in der extremen Szene schon seit 15 Jahren gesprochen. Ein ehemaliges Aryan-Nations-Mitglied, der Mikrobiologe Larry Wayne Harris, ist 1995 mit Pesterregern festgenommen worden, dann noch einmal 1998 mit Milzbranderregern. Und das Feindbild der Terroristen, die mutmaßlich für die Anschläge vom 11. September verantwortlich sind, deckt sich in gewissen Punkten mit dem der Rechtsextremen Szene: Feindschaft gegenüber der US-Bundesregierung und Antisemitismus. Es ist durchaus möglich, dass Rechtsextremisten auf diesen fahrenden Zug aufspringen und eine Destabilisierung der verhassten Regierung erreichen wollen.

Aber die öffentliche Meinung stellt sich gegen sie, die Strategie erscheint unsinnig.

Aus eigener Sicht überhaupt nicht. Danach ist das jüdisch-dominierte Establishment dabei, die weiße Rasse zu vernichten. Dagegen ist jedes Mittel recht. Die öffentliche Meinung ist da überhaupt nicht relevant.

Der bisher größte Anschlag, das Bombenattentat von Oklahoma, ging auf das Konto eines Einzelgängers . . .

Einen Einzeltäter kann ich mir schlecht vorstellen. Ich gehe eher von kleinen, ideologisch angeleiteten Zellen von vielleicht fünf Personen aus. Die finden sich zusammen, warten auf eine günstige Situation und schlagen dann zu. Solch eine Situation ist nach dem 11. September entstanden.

Man geht von rund 250.000 Rechtsextremen in den USA aus. Wie viele davon sind denn Ihrer Meinung nach bereit zu Terroranschlägen?

Das ist fast unmöglich zu sagen. Aber man kann am Beispiel des Oklahoma-Attentäters Timothy McVeigh sehen, dass es auch nur sehr weniger Personen bedarf, um erheblichen Schaden anzurichten. Wenn es vielleicht 100 Personen gibt, die zu solcher Gewalt bereit sind, dann ist das eine verheerende Bedrohung.

Die Hoffnungen des Timothy McVeigh, sein Anschlag möge zur Destabilisierung des Systems beitragen und Nachahmer finden, haben sich nicht erfüllt. Hat das in der Szene zum Umdenken geführt?

Im Gegenteil. Nach dem Anschlag und auch der Hinrichtung McVeighs hat man jetzt einen genuinen Märtyrer. Das war ein Mobilisierungsschub.

Zusammengefasst: Sie halten die militante rechtsextreme Szene in den USA für die Urheber der Milzbrandanschläge?

Sicher ist, dass die Anschläge genau in das Profil der Rechtsextremen passen. Und Larry Wayne Harris hat vor seiner Verhaftung mit Pesterregern 1995 und seiner Verurteilung auf Bewährung sogar ein Buch über biologische Kriegsführung geschrieben, das von den Aryan Nations herausgegeben wurde. Darin beschreibt er das alles ganz detailliert. Warum sollte das niemand nachahmen?

INTERVIEW: BERND PICKERT

Literatur: Thomas Grumke,„Rechtsextremismus in den USA“.Leske + Budrich, 2001