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: Andy Warhol und der Kunstmarkt

Gruppenbild mit Buchhalter

Neulich entdeckte ich ein Gruppenfoto von 1974, auf dem Vertreter der unterschiedlichsten amerikanischen Kunstrichtungen zusammensitzen: Marisol, Joseph Kosuth, Joe Baer, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg, Richard Serra und eben auch Andy Warhol, um nur die Bekanntesten zu nennen. Obgleich Warhol unten rechts platziert wurde, fügt er sich auf diesem Bild harmonisch in die Gruppe ein. Nur sein Gesichtsausdruck fällt durch seine Traurigkeit heraus.

Warhol war zum Zeitpunkt dieser Fotografie, die für das Mänermagazin Esquire aufgenommen wurde, bereits eine Celebrity – spätestens seit dem spektakulären Schuss von Valerie Solanas 1968 konnte er bei den Lesern des Hefts als bekannt vorausgesetzt werden. Was brachte jedoch die anderen, weniger prominenten und auch weniger medienorientierten Künstler/innen dazu, sich gemeinsam fotografieren zu lassen, zumal doch ihre Auffassungen von Kunst – man denke nur an Gegenpole wie die figurative Bildhauerin Marisol und den Konzeptkünstler Kosuth – unterschiedlicher nicht hätten sein können? Wie konnten hier Exponenten von Minimal Art und Pop Art zusammenfinden, wo es sich doch, der gängigen Rezeption zufolge, um konkurrierende, gar einander ablösende Bewegungen handelte?

Es war ihr gemeinsamer Buchhalter, der den Anlass für dieses „Group Portrait with Accountant“ bildete, und dieser Buchhalter, links unten hockend, spielt mit seinem wenig bohemistischen Outfit, zugleich die Rolle eines Fremdkörpers und Verbindungsgliedes. Mit ihm kündigt sich jene Professionalisierung der Kunstwelt an, die in den 90er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte.

Zu den wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Künstler/innen einen Buchhalter benötigen, gehört, dass sie mit ihrer Arbeit Geld verdienen. Erst in den 60er-Jahren war dies in New York zu einer wirklichen Option geworden – eine provinzielle Boheme verwandelte sich in „Boomtown“, wie es Rosalind Krauss einmal ausdrückte. Insofern steht dieses Foto auch für eine ökonomische Entwicklung – nur dass der Aufschwung der Sechziger in den Siebzigern von der darauffolgenden Rezession abgelöst wurde.

Für einen Künstler wie Warhol waren die Siebziger vor allem eine Phase der Konsolidierung: Am Anfang stand die Gründung der Zeitschrift Interview, und auch die Factory entwickelte sich vom Ort exzessiver Partys zur arbeitsteilig organisierten, äußerst effektiven Produktionsstätte. Dies war auch die Zeit, als es sich kein Mitglied der High-Society nehmen ließ, von Warhol porträtiert zu werden.

Mit einem ausgewählten Teil seiner Entourage unternahm Warhol ausgedehnte Europareisen, um ein unglaubliches Pensum an Ausstellungsterminen und Interviews zu bewältigen. Mobilität zeichnet heute noch den Kunstmarkt aus, der sich damals zu einem internationalen Netzwerk kooperierender Institutionen formierte. Die einsetzende Rezession bedeutete aber auch, dass weniger marktkompatible Produktionen, etwa die Arbeiten von Kosuth oder Serra, zunehmend auf Europa angewiesen waren, wo sie mehr institutionelle Anerkennung genossen.

Waren es also ökonomische Schwierigkeiten, die die New Yorker Künstler/innen auf dem Foto miteinander vereinten? Weit gefehlt. Dieses Foto bezeichnet vielmehr jenen historischen Moment, kurz bevor die Plätze vergeben und die Hierarchien neu ausgehandelt wurden. Noch bestand keine volle Klarheit darüber, wer langfristig erfolgreich bleiben und wer aus dem Kreis institutionell anerkannter Künstler/innen gegebenenfalls herausfallen würde. Die Künstlerin Joe Baer sollte Ende der 70er-Jahre nach England ziehen und figurative Historienbilder malen, die bei den Unterstützern ihrer einst reduzierten Malerei nur mit Entsetzen aufgenommen wurden.

Auch andere der hier posierenden Künstler/innen haben mit zunehmendem Erfolg oder Mißerfolg – je nachdem – ihren Rückzug angetreten. Deshalb ist es umso interessanter, dass man noch 1974 bereit war, sich als „Art Comunity“ für Esquire zu inszenieren. Das hatte allerdings weniger eine künstlerische als eine pragmatische Basis. Man sah sich mit vergleichbaren Fragen und Problemen der Alltagsbewältigung konfrontiert: Jedem Geld verdienenden Künstler muss nämlich auch deshalb daran gelegen sein, die Bilanzierung seines Einkommens und seiner Ausgaben an einen Buchhalter abzugeben, weil sich diese Arbeitszeit für die potenziell einträglichere künstlerische Produktion besser verwenden lässt.

Was auf diesem Foto Einzug hält, ist somit ein ökonomisches, ergebnisorientiertes, rationales Denken, das noch in die kritischeren Selbstverständnisse, etwa des frühen Serra einfließt. Von Warhol ganz zu schweigen, der ja bekanntlich großen Wert auf das Ökonomische seines Verfahrens legte. Aus seinen Zügen spricht jedoch, dass er an dieser von ihm selbst vorangetriebenen Professionalisierung durchaus litt. Es sieht tatsächlich so aus, als würde Warhol einen Verlust betrauern – ist es der Verlust traditioneller künstlerischer Freiheiten? Die Frage nach dem Preis, den Künstler/innen für die Einhaltung von Professionalitätsstandards zahlen, ist heute aktueller denn je. ISABELLE GRAW

Die Serie wird fortgesetzt. Mehr zur Ausstellung unter: www.warhol-retrospektive-berlin.de