Auf den Spuren Robert Kochs

In Neukölln ist das erste Genlabor an einer Schule eingerichtet worden. Neben dem Experimentieren sollen die jungen Forscher auch kritisch diskutieren. Organe zu klonen finden die meisten ganz okay

von BETTINA FICHTNER

In weißen Kitteln, die Augen von modischen Plexiglasbrillen geschützt, hantieren Stephan (18) und Thamée (18) an der Reinstraumwerkbank. Im Bauch des 150.000 Mark teuren High-Tech-Geräts können die beiden angehenden biologisch-technischen Assistenten steril mit verschiedenen Mikroorganismen arbeiten. Dank der „gefilterten Luftinnenzirkulation“, erklärt Stephan, ganz Fachmann. „Züchten, halten und identifiziern. Das ist fast wie im Robert-Koch-Institut, nur dass wir hier nicht mit gefährlichen Bakterien arbeiten“, beschreibt Thamée begeistert das Laborgeschehen. Mit ihrer Klasse durfte die Auszubildende das brandneue Genlabor der Lise-Meitner-Schule in Neukölln einweihen.

Das bundesweit erste Genlabor an einer Schule gehört zum Modellprojekt „Science-Life in der Schule“. Ausstattung und Personal lässt sich das Landesschulamt, unterstützt von Berliner Forschungszentren und Brüsseler Geldern, satte 2 Millionen kosten. Zu dem Prestigeprojekt gehören neben zwei weiteren Genlabors, die in Kürze an der Emil-Fischer-Schule in Reinickendorf und im Berufsbildungszentrum Chemie in Adlershof eröffnet werden, auch das „Gläserne Labor“ auf dem Forschungscampus in Buch. Die stellvertretende Schulleiterin Petra Christiansen hofft, dass das ehrgeizige Vorhaben die von Studenten lange verschmähten Naturwissenschaften wieder populärer macht. Außerdem solle es möglichst früh eine „experimentelle Erfahrung der Gentechnik ermöglichen“. Schließlich gebe es in Berlin und Brandenburg eine aufstrebende Biotechnologiebranche, der es an qualifizierten Arbeitskräften fehle.

Sandra (19) bestreicht eine Petrischale mit rosa Nährboden. Sie will nach ihrer Ausbildung Mikrobiologie oder „vielleicht Genetik“ studieren. Das neue Laborangebot gefällt ihr gut, „weil man hier das machen kann, was man später im Berufsleben braucht“. Skrupel hat die zukünftige Wissenschaftlerin trotzdem. Als sie im Biotechnikpraktikum eine Maus fachmännisch töten sollte, habe sie das „einfach nicht übers Herz gebracht“. Andere Schüler sind da nicht so zimperlich. Für Fiete (19) wäre selbst Mäuseklonen „kein Problem“.

Ralf Richter beäugt das geschäftige Treiben mit pastoraler Gelassenheit. Er schmunzelt über die Kommentare seiner Schüler und versichert: „Das machen wir hier selbstverständlich nicht.“ Der Diplombiologe wurde eigens angestellt, um die halbtägigen Experimentierkurse an der Lise-Meitner-Schule wissenschaftlich zu betreuen. Über tausend Schüler aus dem Südwesten der Stadt wird er im ersten Projektjahr an das Einmaleins molekularbiologischer und gentechnischer Praxis heranführen. Im Sinne des Gentechnik-Gesetzes „ausschließlich mit Material, das keinerlei Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt“. Es werde nur mit speziellen Stämmen des Darmbakteriums E. Coli gearbeitet, die außerhalb des Labors „gar nicht überlebensfähig sind“, erläutert Richter, der mit seiner unaufgeregten Art so gar nicht dem Bild vom versponnenen Wissenschaftler entspricht. Mit ausladenden Gesten führt er durch die teuren Apparaturen und erklärt, was die Schüler in seinen Kursen machen dürfen.

Zu den sechs Versuchen, die im Labor durchgeführt werden, gehört die so genannte PCR-Fingerprintanalyse. Hierbei lernen die Schüler, „wie die Profis in der Gerichtsmedizin“ einen genetischen Fingerabdruck zu analysieren. Der Unterschied zur Praxis: Es ist ihr eigener. Geklont wird aber doch – wenn auch „nur“ E.-Coli-Bakterien. Ihnen wird ein fremdes Gen hinzugefügt, so dass sie ein körperfremdes Protein produzieren. Das sei nichts Teuflisches, sondern „angewandtes Faktenwissen“, betont Richter. Er will mit seiner Arbeit dazu beitragen, die Gen-Debatte „von der emotionalen Ebene auf eine reale Basis“ zu stellen.

Für Schulleiter Eugen Hollander, der selbst „nicht unbedingt“ genveränderten Mais essen will, ist es wichtig, dass die praxisorientierten Laborkurse von einem kritischen Diskurs begleitet werden. Deshalb will er die Grenzen der Gentechnik nicht nur im Bio-und Sozialkundeunterricht, sondern auch mit kritischen Experten, die er regelmäßig einladen wird, diskutieren. Die angehenden biologisch-technischen Assistenten haben zur Gentechnik ein unverkrampfteres Verhältnis. Gewebe- und Organklonierung für medizinische Zwecke finden die meisten „okay“. Doch selbst für Fiete ist spätestens bei „ganzen Menschen“ Schluss.