Der Dallas-Subtext

Vom Leistungsprinzip bestimmt: Roland Schimmelpfennigs „Push up 1–3“ an der Schaubühne Berlin setzt auf konventionelle Globalisierungskritik

von EVA BEHRENDT

Die Vorstellung von Globalisierungsopfern in den Chefetagen multinationaler Konzerne spendet Trost und Häme: Man lacht gern und herzlich, wenn Entscheidungsträger sich gegenseitig zerfleischen, der Erfolgsdruck derbe auf die Potenz schlägt und hinter den blanken Fassaden doch nur emotionale Verelendung herrscht. Der Dallas-Subtext: Macht macht ja so einsam.

Die diffuse Globalisierungsgegnerschaft hat sich inzwischen intellektuellerseits zur konsensfähigen Haltung gemausert und ist als Pose nachgerade hip geworden. Man muss der Schaubühne Respekt zollen: Sie gehörte zu den Ersten, die eine glatte Latte-Macchiato-Bar bedenkenlos mit kapitalismuskritischen, neolinken Veranstaltungen koppelte. Außerdem fördert und inszeniert sie schon seit zwei Jahren unverdrossen neue Dramatik der konjunkturfeiernden Kategorie „Globalisierung und psychosoziale Folgen“. Und die Uraufführung des neuesten Gattungsbeitrags, Roland Schimmelpfennigs „Push up 1–3“, demnächst auch am Hamburger Schauspielhaus, bestreitet nun gar das gesamte Produktionsensemble samt Ostermeier’schem Beistand in vereinter Regie.

Mit „Push up“ wechselt der ehemalige Schaubühnen-Hausautor und Dramaturg von poetisch verästelten Halbtraumwelten (zuletzt in „Die Arabische Nacht“) zum straff pointierten well made play: Er verknüpft drei strukturell verwandte, durchaus komische Dialoge, die alle an Schreibtischen im sechzehngeschossigen Hauptsitz eines Weltkonzerns gesprochen werden. Ihre Sprache ist elliptisch, dennoch drehbuchtauglich realistisch, genau wie die Figuren, die gelegentlich und oft symmetrisch auf Innenperspektive umschalten. Da ist viel Ally McBeal im Spiel. Umschlossen werden die „Push ups“ von zwei Monologen, die das niedere Wachpersonal zum Schichtwechsel spricht.

Ein frisch zu besetzender Posten in Delhi und ein abgekupferter Unternehmenswerbespot, in dem Mann Frau über eine Pfütze trägt, sind dabei nur der leitmotivisch skizzierte Anlass, um die leitenden Softskills zu demontieren: Zwei extrem erfolgreiche und sexuell extrem frustrierte Managerinnen liefern sich ein schlammschlachtartiges Duell, in dem erotische und berufliche Ambitionen kollidieren. Die Vorgesetzte unterstellt der Untergebenen eine Affäre mit ihrem Mann, diese bestätigt den falschen Verdacht reflexhaft – schon spritzt der Kaffee, und der Aufstieg nach Delhi ist futsch. Patrizia und Robert haben zwar erst kürzlich bei einer Betriebsfeier miteinander den angeblich besten Sex ihres Lebens genossen, booten sich aber nun gegenseitig aus. Auch Hans und Frank sitzen im selben Boot und wollen nach Delhi, doch obwohl der ältere Hans dank täglichen vier Stunden Hometrainer der Fittere von beiden ist, bekommt der aufgequollene Internetporno-Junk den Job. Dank der introspektiven Gleichschaltungen kapiert man schnell, wohin der Hase läuft. Schimmelpfennigs Manager und Werbefuzzis sind vom Leistungsprinzip geistig und emotional dermaßen determiniert, dass sich ihr Handlungsspielraum auf dem Niveau von Isolationshäftlingen bewegt. Alle Köpfe beherrscht das gleiche Zwangsselbstbild von der rundum erfolgreichen, attraktiven, sexuell aktiven und – ja, immer wieder kurios – freien Persönlichkeit, die man sich allerdings erst an allen denkbaren Fronten glaubt erkämpfen zu müssen.

Mit einem hängenden Glasvorhang und schlichter Fotokulisse deutet Ulrich Frommhold die zeitgemäße Büroarchitektur kühl und hinreichend an; ein edel furnierter Schreibtisch, zwei hierarchisch gepolsterte Stühle und cremefarbener Velour stehen drehfähig im Mittelpunkt. Diesen sauberen Realismus setzt die Uraufführung in beinahe jeder Hinsicht fort: wie Mobiltelefone und Thermoskannen Zeichen setzen, wie Sitzhaltungen und Gesten Spannung transportieren – das ist in seiner klischeehaften Konventionalität ordentlich der Fernsehwirklichkeit abgeschaut, auf der Bühne aber fürchterlich harmlos. So gut geölt, wie Tina Engel und Linda Olsansky die bemitleidenswert erfolgsbesessenen Minderwertigkeitskomplexe als Kammerspielwerk herunterspulen, spielen Tilo Prückner und Lars Eidinger – trotz oder wegen schlabberndem Anthrax-T-Shirt – schlaff und sinngemäß aneinander vorbei. Nur Julika Jenkins und Mark Waschke, die dynamischen Erosunterdrücker, dürfen die McBeal-Schraube etwas kräftiger anziehen, wenigstens punktuell den brünstigen Brüllaffen rauslassen oder den Werbesound nahtlos im stotternden Spucksprech überdrehen.

Umso mehr nervt die moralinsaure Klammer des Wachpersonals. Hier toben sich Widerstandskitsch und das immer billige Lob der kleinen Leute so richtig aus: Den vor lauter Anständigkeit vertrottelten Falk Rockstroh und die in aller Bescheidenheit zerknitterte Martina Krauel, beide ausstaffiert mit arabischer Musike, brodelndem Kaffeekännchen und einem Naomi-Klein-Band, möchte man am liebsten sofort selbst mitausbeuten. Puh! Immerhin: Wenn die Kapitalismuskritik der uninteressanteren Sorte an der Schaubühne schon derart heruntergewirtschaftet ist, darf man sich hier vielleicht am ehesten auf den Backlash zu Zynismus und boshafter Affirmation freuen.