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: Von der Bedeutung der Popmusik für Warhols Arbeit

Andy in Teen-Age Heaven versus Warhol in Walhalla

„Ich habe damit Karriere gemacht, dass ich das richtige Ding im falschen Raum und das falsche Ding im richtigen Raum war. Da kenne ich mich wirklich aus!“, heißt es in „Die Philosophie des Andy Warhol. Von A bis B und zurück“. Tatsächlich: er wollte der Falsche im Richtigen und der Richtige im Falschen sein. Nicht mühevolles Winden vor der Leinwand, sondern die schnelle Folge von Siebdrucken, wie das selbstverständliche Bambambam eines Beats; statt des einsamen Ateliers die belebte „Factory“; nicht spannende Filmschnitttechniken lernen, sondern stoisches Aneinanderreihen der ungeschnittenen Filmrollen; nicht mit nettem Mainstreampop die Charts erobern, sondern mit den „negativen“ Velvet Underground und Songtiteln wie „Heroin“.

War das alles nur kalkuliertes „Verkehrte Welt“-Spielen? Nur schmückendes Beiwerk zum „Eigentlichen“, den Leinwänden, wie sie nun im Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie zu Berlin hängen? War Warhol letztlich wie etwa Roy Lichtenstein einfach ein High-Art-Maler, der sich von vorherigen Hoch-Modernisten absetzte, indem er Massenkultur zum Sujet machte? War das Zusammenarbeiten mit The Velvet Underground Teil der künstlerischen Arbeit oder nur Gag, um am eigenen Künstlermythos zu stricken? Was wollte Warhol wirklich mit Musik?

Wenn man Victor Bockris’ Biografie glauben darf, bot sich dem Galeristen Irving Blum, als er den bereits relativ bekannten Warhol im Mai 1962 zu Hause besuchte, folgende Szene: Er kniet am Boden in der Nähe des eingeschalteten Fernsehers und malt eines seiner Suppendosen-Porträts, während aus dem Radio eine Arie trällert und gleichzeitig Rock ’n’ Roll auf dem Plattenspieler läuft. – Selbstvergessenes Spielkind, Meisterwerke schaffend inmitten des widersprüchlichen Lärms von Hoch- und Populärkultur . . . Bei Biograf David Bourdon hört sich das ganz anders an: Warhol habe zu dieser Zeit begonnen, an seiner Pop-Persona zu arbeiten, als Komplement, wenn nicht Teil seiner Kunst. „Er kultivierte absichtlich das Verhalten und die Haltungen eines angeblich gedankenlosen Teenagers“, schreibt Bourdon, eines Teenagers, der zu allem „wow“ und „fantastic“ sagt. Wenn Besucher aus der Kunstwelt kamen, habe er schnell Teeniemagazine und Popplatten auf dem Boden verteilt. Dann wurde der Plattenspieler auf Wiederholen gestellt und unablässig plärrte ein aktueller Hit wie „Teenager in Love“ oder „Teen-Age Heaven“. So oder so: bei Warhol schlägt jeder Versuch fehl, vorgetäuschtes von „aufrichtigem“ Fantum zu unterscheiden. Wenn er womöglich die Presley-Platten lieber sorgsam im Raum verteilte, als sie anzuhören, so hat die Hingabe, mit der er an diesem Bild arbeitet, schon beinahe die Hingabe der „echten“ Teenie-Befindlichkeit überstiegen. „Wow“ und „fantastic“ werden als Werturteile entleert und serialisiert und dadurch erst ästhetisch wahrgenommen – wie die Suppendosen.

Für Warhol war die „unmännliche“ Seite der Popmusik wichtig, die „kitschige“, unconnaisseurhafte, dafür intensiv in Liebes- und Hassbekundungen versprachlichte Perspektive des – weiblichen, schwulen – Fans. Warhol hatte wohl tatsächlich, wenn man seinen Chronisten glauben darf, gehofft, mit den Velvet Underground die Charts und die Herzen der Popfans zu erobern. Eigentlich absurd, und doch wieder genau Warhols verkehrte Welt: ein Pop-Art-Künstler, der in die Popmusikwelt will, sucht sich Popmusiker, die sich im Gegenverkehr nach großer Kunst sehnen – den Dandy-Poeten (Lou Reed), die gotisch-romantische Harmoniumspielerin (Nico), den ernsten Komponisten (John Cale).

Heiner Bastians Warhol-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin heißt „Retrospektive“. Als wäre es heilige Pflicht, wird retrospektiv Warhol-als-Maler gegen Warhol-als-alles-andere ausgespielt; die Filme ans Programmkino delegiert, alles Weitere mehr oder minder ignoriert (die Bücher, die Silver Clouds, die Velvet-Underground-Platte, die Exploding Plastic Inevitable Show, die Time Capsules usw.). Die Ausstellung stellt den Versuch dar, aus Warhol das „richtige“ Ding – Großmalergenius – im „richtigen“ Raum – der Nationalgalerie als Warhol-Walhalla – zu machen. Richtig falsch.     JÖRG HEISER