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: In Island schreibt selbst der Premierminister: Geschichten von David Oddsson

Herr, wirf Kaugummi vom Himmel

Es war eine wichtige Parlamentsdebatte. Doch der Premierminister glänzte durch Abwesenheit. Er las ganz in der Nähe, im Café „Grái Kötturinn“ zeitgleich aus seinem neuen Buch. Die isländischen Linksgrünen schnaubten vor Wut.

Kein Wunder, dass sich das tapfere Bild hält, dass jeder Isländer ein Schriftsteller sei. Der Premierminister heißt David Oddsson und ist seit 1991 im Amt. Politiker und Kunst gehen auf der übrigen Welt nur selten fröhlich zusammen, in Island aber gibt es fast eine Tradition von Politikern, die aus dem Kunstbereich kommen. Schon der erste Islandminister im dänischen Parlament, also der Vertreter für die Belange des damals zu Dänemark gehörenden Eilands, Hannes Hafstein, war berufener Poet. Und ein schöner Mann überdies, wie David Oddsson in seinem neuen Buch anmerkt. Hannes Hafsteins Lied „Sálmur yfir víni“, eine Ode auf die Freuden des Rotweintrinkens, gedichtet auf die Melodie von Joseph Haydn, die hierzulande für das „Lied der Deutschen“ in Gebrauch ist, ruft noch heute bei deutschen Touristen Irritationen vor.

Der Steidl Verlag, der sich um die Übersetzung und Veröffentlichung von Büchern isländischer Autoren wie Vigdis Grimsdóttir, Gudbergur Bergsson und des Werkes von Halldor Laxness verdient gemacht hat, präsentiert nun David Oddssons Buch „Schöne Tage ohne Gudny“. Neun überaus vergnügliche und wunderliche Kurzgeschichten von peinlichen Situationen und zerbrochenem dänischem Möwengeschirr, von amerikanischem Kaugummi, das Gott auf die Bitte einiger Knaben vom Himmel wirft. Es zittern die Erdschollen der Kontinente und – mehr aus privaten Gründen – das Geschirr einer Küche im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses in der Reynimelstraße in Reykjavík. Und da gibt es auch einen Besuch in Moskau, einen Staatsbesuch sogar, und Premier David Oddsson lässt sich als Schriftsteller selber spielen.

Das macht Spaß. Und so entsteht eine reizvolle Atmosphäre. Sie zeigt, dass es selbst für einen Politiker ungeahnte Möglichkeiten gibt, wenn er die Regelwerke seines Standes durchschaut und seine Kenntnisse nicht verheimlicht. Er muss ja nicht unbedingt auf einer Holzkiste an der Speaker’s Corner in London landen, wie der Held Bergur in der Titelgeschichte „Schöne Tage ohne Gudny“. Bergur, der dort das Stroh isländischer Scheinheiligkeit in Brand steckt, die Tricks der Buchhalter und Rechnungsprüfer, die ganzen Schweinereien des isländischen Systems aufdeckt, ja selbst Interna des Betriebssportvereins offenbart. Eine Superaktion, wenn da bloß nicht zufällig Sighvatur Jensson vom Reisebüro Samvonnuferdir-Landsyn gestanden hätte. Klein ist die Welt.

David Oddssons Metamorphosen vom Premier zum einfachen Bürger machen ihn tatsächlich zum Schriftsteller. Das hört sich kokett an, ist es aber ganz und gar nicht. Auf Island werden Grenzlinien anders gezogen als hierzulande. Gerade erzählte mir der isländische Künstler Unnar Örn Jónasson, dass Premierminster David Oddsson seine Karriere als Komiker und Kabarettist gestartet habe, bevor er in die Politik ging. Und ich sagte Unnar, dass ich David Oddssons Frau beim Spaziergang in Reykjavíks Weststadt sah, als sie einen Teppich vor ihrer Haustür ausschüttelte. Daneben, so der Klappentext des neuen Buches, studierte der Autor Jura, arbeitete für diverse Kulturinstitute, war für eine Krankenversicherung tätig, arbeitete als Journalist, Theatermacher und Übersetzer, bevor er Reykjavíks Bürgermeister wurde. WOLFGANG MÜLLER

David Oddsson: „Schöne Tage ohne Gudny“, Steidl Verlag, Göttingen 2001, 114 Seiten, 24 DM