„Seelische Erschütterung gehört zum Thema“

Ausstellungsmacherin Ulrike Jureit über das neue Konzept, den kritischen Rückblick auf die erste Ausstellung und den Streit darum

taz: Frau Dr. Jureit, sie haben die erste Wehrmachtsausstellung schon besucht, bevor sie in schwere Wasser geriet. Hatten Sie damals etwas auszusetzen?

Ulrike Jureit: Ich habe die Ausstellung dreimal gesehen. Ich war sehr beeindruckt. Allerdings wunderte es mich, dass so viele SS-Leute auf den Fotos zu sehen waren – das schien mir nicht genügend erklärt.

Teilten Sie die Auffassung Jan Philipp Reemtsmas, die alte Wehrmachtsausstellung müsse neu konzipiert werden?

Als das Moratorium für die Ausstellung ausgesprochen wurde, wäre es sicher möglich gewesen, aufgetretene Fehler zu korrigieren. Aber die Debatte in der Öffentlichkeit hatte einen Hitzegrad erreicht, der die zentralen Aussagen der Ausstellung – die Verbrechen der Wehrmacht betreffend – ins Zwielicht rückte. Diese Aussagen waren wissenschaftlich unstrittig. Als wir dann, nach Beginn des Moratoriums, uns von der Konzeption der ersten Ausstellung lösten, diese Verbrechen geografisch zu verorten, also Weißrussland, Serbien, der Weg der 6. Armee, und stattdessen einen systematischen Zugang wählten, zeigte sich die Notwendigkeit einer Neukonzeption. Dafür sprach auch das Ergebnis der Debatten, die mit dem Thema „Foto als historische Quelle“ zusammenhingen. Schließlich die Frage nach dem Verbrechensbegriff aus damaliger Sicht, die sich im Zusammenhang mit der „Partisanenbekämpfung“ aufdrängte.

Kommt der Crew der ersten Ausstellung nicht das Verdienst zu, das Problem des historisch-kritischen Umgangs mit Fotos überhaupt ins öffentliche Bewusstsein gehoben zu haben?

Auch wenn dies nicht freiwillig geschah, war es so. Bis zur ersten Wehrmachtsausstellung ist die Geschichtswissenschaft ziemlich naiv mit Fotos als Quellen umgegangen und hat sich hier wenig um Quellenkritik gekümmert.

Teilen Sie die Auffassung Carlo Ginzburgs, dass die Aufgaben des Historikers und des Kriminalisten sich ähneln?

Ich teile sie. Das betrifft insbesondere die Arbeit mit Fotos. Was man in Archiven findet, ist oft gar nicht oder ungenau beschriftet, oft nicht zugeordnet. Das heißt, man forscht nach, sucht nach Originalen, stellt verloren gegangene Zusammenhänge her. Man sucht und sichert Spuren, man kombiniert.

Darf eine historische Ausstellung an Emotionen appellieren, darf sie aufrühren?

Man darf nicht übersehen, dass die erste Ausstellung Emotionen hervorrief, die in der Sache selbst begründet waren. Schließlich war ein erheblicher Teil der Bevölkerung durch das Thema und durch die Fotos direkt berührt. Natürlich trug die Ausstellung durch die Form ihrer Repräsentation zur zusätzlichen Emotionalisierung bei.

Geht es denn bei diesem Thema ohne seelische Erschütterung?

Sie gehört zum Thema.

Wie stehen sie zu dem Postulat der Selbstkritik als Bestandteil der neuen Ausstellung?

Von Anfang an hatten wir das Gefühl, dass wir ohne einen Rückblick auf die erste Ausstellung und auf die Auseinandersetzung, die sie auslöste, nicht auskommen würden. Schließlich hätte es die zweite Ausstellung ohne die erste nicht gegeben. Unser Entwurf ist nicht verstehbar ohne die vorangegangenen Debatten.

Haben Sie Hannes Heer und seine Crew eingeladen?

Es war notwendig, dass das neue Team unabhängig von den ersten Ausstellungsmachern seinen Weg suchte. Ich selbst verspüre jedoch keinerlei Distanz zu Hannes Heer und den anderen. Wir haben das alte Ausstellungsteam zur neuen Ausstellung eingeladen. Und wir werden sehen, wie man sich begegnen wird. INTERVIEW: CHRISTIAN SEMLER