„My gun and my fun“

Wenn Soldaten so denken, bleiben Frauen Kriegsopfer, meint Monika Hauser von der Frauenhilfsorganisation Medica Mondiale
Interview HEIDE OESTREICH

taz: Sie haben sich einmal als Reparaturarbeiterin des Krieges bezeichnet. Was empfindet denn so eine Reparaturarbeiterin angesichts des Krieges in Afghanistan?

Monika Hauser: Auf jeden Fall müssen nun UNO-BeobachterInnen dorthin, weil völlig klar ist, dass seit Wochen gebrandschatzt, geplündert und auch vergewaltigt wird. Die Nordallianz, von der man weiß, dass sie vor Jahren schon gemordet und vergewaltigt hat - soll die jetzt plötzlich zu einem Menschenrechte achtenden Verband geworden sein? Eine Regierung mit diesen Schlächtern kann kein Fortschritt für die Frauen sein. Da muss unbedingt eine Koalition von ExilafghanInnen her.

Die Logik des Krieges ist immer patriarchal, sagen Sie und suggerieren damit: schlecht für die Frauen. Andererseits haben Sie die Angriffe auf Serbien unterstützt.

Selbstverteidigung ist für mich überhaupt keine Frage. 1993 hat die bosnische Armee Zenica geschützt und damit auch unsere Arbeit dort möglich gemacht. Die UN-Schutzzonen hätten mit Waffengewalt geschützt werden müssen. Auch den Konflikt im Kosovo hat man so lange eskalieren lassen, bis es keine andere Lösung mehr gab. Die Unterstützung der US-Amerikaner in diesem Krieg beinhaltete Interessen, die ich nicht für gut halte, aber in dieser Situation gab es keine andere Lösung mehr.

Wie beurteilen Sie das Vorgehen in Afghanistan?

In Afghanistan halte ich die Situation für eine ganz andere. Sechs Jahre gab es das Taliban-Regime, das hat die westliche Welt nicht gestört. Nun, wo die USA angegriffen sind, bomben sie zurück. Das hat mit der Verteidigung der USA zu tun, aber nichts mit der von Menschenrechten und Zivilisation.

Werden Sie in Afghanistan aktiv?

Ja, wir haben Ende November in Kooperation mit der Organisation Shuhada der Ärztin - und mittlerweile Interims-Frauenministerin - Sima Samar das Projekt „Purple Nest“ gestartet. Dabei handelt es sich um ein Schutzhaus für Witwen, allein stehende Frauen und deren Kinder im pakistanischen Quetta. Sobald wir zuverlässige Partnerinnen vor Ort gefunden haben, werden wir auch in Afghanistan aktiv.

Angesichts des neuen Konfliktes ist es um die alten still geworden. Wie hat sich die Arbeit in Bosnien nach dem Krieg verändert?

Wir arbeiten mehr ambulant. Viele Frauen, die erst nach Jahren bereit sind, über das zu sprechen, was ihnen im Krieg passiert ist, wenden sich erst jetzt an Medica Mondiale. Außerdem ist häusliche Gewalt zu einem Thema geworden. Wir haben den Eindruck, dass häusliche Gewalt sich verstärkt hat, dass Männer, die traumatisiert von der Front zurückkehren, ihre Traumata zu Gewalt kanalisieren.

Was kann Medica tun?

Es geht erst einmal darum, dass jemand ein Ohr für die spezifischen Verletzungen der Frauen hat. Das ist im medizinischen Establishment nicht so. Wir müssen zudem psychosomatische Zeichen lesen: Wenn man sich nicht mit Traumata auseinandersetzen kann, dann suchen sich die Verletzungen einen anderen Weg: von extremen Schmerzen über Panikattacken, dauerhafte vaginale Blutungen, hormonelle Störungen bis hin zu schweren Magen-Darm-Störungen. Man kann also nicht nur medikamentös behandeln, sondern muss die Geschichte der Frau sehen.

Inwieweit kann man eine Therapie anbieten?

Wenn eine Flüchtlingsfrau in Deutschland weiß, in einem halben Jahr kann sie abgeschoben werden, dann kann sie keine Therapie machen. Wenn sie in Gjakova nicht weiß, wie sie morgen ihre Kinder durchfüttern soll und den Tag damit verbringt, Brennholz im Wald zu suchen, kann man ihr auch nur psychosoziale Unterstützung anbieten: Wir kommen also mit Brennholz und Essen. Erst dann kann die Frau sich hinsetzen und über ihre Albträume reden.

Die Männer sind oft ebenso traumatisiert wie die Frauen. Gibt es für die auch Unterstützung?

Wenn Männer gewalttätig werden oder suizidal sind, dann muss man sich, auch im Interesse der Frauen, mit ihnen beschäftigen. Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Das müssten endlich Männerorganisationen machen.

Wirkt Ihre Arbeit in die Gesellschaft hinein?

Anfangs bekamen wir große Unterstützung sowohl von der Regierung als auch von islamischer Seite. Der Imam hat damals die Frauen aufgerufen, zu Medica zu gehen, wenn sie Hilfe brauchen. Mittlerweile hat sich das geändert: Wenn wir etwa über Gewalt in der Familie reden, dann gefährdet das tendenziell die bosnische patriarchale Gesellschaft. Das wird anders aufgenommen als die Unterstützung von Frauen, die vom Feind vergewaltigt worden sind. Allerdings sahen wir in einem Pilotprojekt, dass auch viele Männer mit uns nach neuen Wegen suchen.

Ist das im Kosovo ähnlich?

Im Kosovo herrscht seit Jahrhunderten eine männerdominierte Clangesellschaft, die ein selbstbestimmtes Leben von Frauen unmöglich macht. Es gibt Fälle, in denen unsere Mitarbeiterinnen einfach nicht mit Frauen, die um Hilfe gebeten haben, sprechen durften. Sie wurden am Dorfrand buchstäblich abgefangen. Unsere Strategie, das Schweigen auch durch Öffentlichkeitsarbeit vor Ort zu brechen, zeigt nun, nach zwei Jahren, erste Früchte.

Wirkt sich dabei aus, dass in die Anklage gegen Milosevic nun auch sexuelle Gewalt aufgenommen wurde?

Ja. Als diese Punkte in die Anklage aufgenommen wurden, hat die größte Zeitung des Landes unsere Presseerklärung abgedruckt. Darin hieß es: Nun bitten wir die kosovarische Gesellschaft, endlich diese Frauen wieder aufzunehmen, damit sie reden dürfen und ein Leben in Würde führen können. Damit hat man auch die Verantwortung an die kosovarischen Männer übergeben.

Dass geschlechtsspezifisch Verfolgte in Deutschland geschützt werden, bekämpft die Union vehement. Sie befürchtet einen Zustrom von Frauen aus aller Welt.

In erster Linie fliehen die, die Geld haben, das sind Männer. Mit drei kranken Kindern etwa kann eine Frau nicht fliehen. Deshalb werden nicht viele Frauen hier herkommen. Aber die Frauen, die kommen, müssen anerkannt werden. Das wird aber dennoch schief gehen, wenn die Frau an der Grenze winken muss und sagen: Übrigens bin ich sexuell traumatisert. Da müssen Dolmetscherinnen geschult werden, da muss den Frauen erst einmal erklärt werden, dass sie sich eine Rechtsanwältin nehmen können.

Es scheint, dass eine Verdinglichung von Sexualität untrennbar mit Männerbünden wie dem Militär zusammenhängt. So gab es vor einiger Zeit Berichte, nach denen deutsche Soldaten in Mazedonien minderjährige Zwangsprostituierte besuchten. Sie haben bei Verteidigungsminister Scharping protestiert. Mit Erfolg?

Herr Scharping hat uns empfohlen, das Thema bitte nicht breitzutreten, um die Freundinnen und Frauen der Soldaten nicht zu verunsichern. Das ist ein Witz: Natürlich muss ich eine Frau verunsichern, wenn ihr Freund HIV-positiv zurückkommt. Aber im präventiven Sinn.

Was ist zu tun?

Es muss ein Sensibilisierungstraining durch Frauenorganisationen stattfinden. Es gibt in diesen Ländern keine freiwillige Prostitution. Dort werden Frauen entweder verschleppt oder sie landen in der Prostitution, weil sie schlicht am Verhungern sind. Wenn die Mafia hört, dass irgendwo peacekeeping-Einsätze geplant sind, organisiert sie sofort Bordelle. In Mazedonien gibt es in deutschen Kasernen Aushänge an der Pinnwand: Heute Abend 18 Uhr steht vor der Hintertür der Bus bereit, mit dem wir zwanzig Jungs in eine nettes Etablissement bringen. Und wenn ein Sternchen dran ist, weiß man, dass besonders junge Mädchen da sind.

Wie sähe solch eine Sensibilisierung aus?

In Schweden wird den Soldaten zum Beispiel klar gemacht, was Zwangsprostitution für diese Frauen bedeutet. Man muss auch das Männerbild im Militär - here‘s my gun, heres my fun - aufknacken. Zum Helden gehört es, allzeit sexbereit zu sein und jede Frau zu nehmen, die man will. Es geht darum, die Gesellschaft aufzuklären und zu sensibilisieren. Als nach dem UNO-Einsatz in Kambodscha Tausende Frauen mit HIV infiziert waren, sagte der UNO-Beauftragte Akashi nur, boys are boys. So kommt man natürlich nicht weiter.