Der Wissenschaft droht Aderlass

Viele Forscher werden bald nicht mehr in der Wissenschaft arbeiten. Das neue Hochschulrahmengesetz befristet Qualifikationsstellen auf zwölf Jahre. Problem: Es gibt keine Übergangsregelung für Habilitierende und Privatdozenten

von ADRIENNE WOLTERSDORF
und CHRISTIAN FÜLLER

Die vermeintliche Jahrhundertreform des Hochschuldienstrechts wirft Probleme auf, ehe sie in Kraft getreten ist. Hunderte Wissenschaftler fürchten, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre Arbeitsverträge nicht verlängern. Grund dafür ist die so genannte 12-Jahre-Regel des neuen Hochschulrahmengesetzes. Demnach dürfen Wissenschaftler nicht länger als 12 Jahre lang promovieren und habilitieren.

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verspricht sich von der Regel eine Verjüngungskur. Sie wolle erreichen, sagte sie der taz, dass der vereinzelt „lebenslange Status“ mancher Wissenschaftler als „Nachwuchs“ eingegrenzt werde. Nach regulär 12 Jahren, bei Medizinern nach 15 Jahren, sei die Qualifizierungsphase mit dem neuen Gesetz nun offiziell beendet.

Was die Ministerin in Kauf nimmt: Vor allem in der außeruniversitären Forschung gibt es sehr viele hoch qualifizierte Wissenschaftler, die unter der 12-Jahre-Regel keine Chance auf Beschäftigung haben; ohne diese Forscher aber droht ein empfindlicher Aderlass. „Tausende von hoch qualifizierten Leuten werden ohne Aussicht auf Alternativen in die Arbeitslosigkeit entlassen“, klagte Ulrich Herbert, Historiker in Freiburg und Mitglied des Wissenschaftsrats, in einem Zeitungsbeitrag.

Herberts Formulierung, es drohen „Massentlassungen“ mag übertrieben sein. Gekündigt wird den betroffenen Forschern nicht, sie erhalten „lediglich“ keine Anschlussverträge mehr. Aber das Problem ist da. „Eine ganze Generation von Wissenschaftlern wird um ihre Zukunft betrogen“, sagt Sabine Wurzler. Die Meteorologin arbeitet am Leipziger Institut für Troposphärenforschung – noch. Wurzler ist jetzt im elften Jahr ihrer Karriere, sie steht kurz vor der Habilitation. Dennoch droht ihr bald das Aus. Warum?

Nach dem bereits verabschiedeten Gesetz von Frau Bulmahn muss Wurzler jetzt binnen eines Jahres ihre Habil beenden und sofort eine Professur bekommen – oder gehen. „Man kann aber doch nicht absehen, wie lange es mit einer Bewerbung dauert“, sagt Wurzler. „In der Zwischenzeit will ich natürlich gern weiter forschen.“ Wurzler kann nicht weiterforschen, sie muss –sonst hat sie keine Chance mehr in ihrem Forschungsfeld.

Die Crux der Bulmahnschen Reform liegt darin, dass sie zwar die allseits begrüßen Juniorpofessuren eingeführt und den Rang der überkommenen Habilitation geschwächt hat; aber sie hat keine Übergangsregelung für jene Wissenschaftler kreiert, die sehr gut sind und ein bisschen zu alt für die neuen Verhältnisse. An Wurzlers Institut zum Beispiel würde die 12-Jahres-Regel etwa jeden sechsten Wissenschaftler den Job kosten – allesamt Mittdreißiger und älter.

Bulmahns Ministerium zeigte sich gestern unbesorgt. Es gebe keinen Grund zur Nachbesserung des neuen Befristungsgesetzes sagte die stellvertretende Sprecherin Bettina Bundszus. Fakt sei, dass die von der 12-Jahre-Regelung betroffenen Wissenschaftler von den Universitäten auch nach der Befristung beschäftigt werden könnten. Dass sich die Unis an diese Regel halten, ist allerdings keineswegs sicher. Es gibt bereits erste Fälle von erstklassig beleumundeten Wissenschaftlern, die von Unis mit Hinweis auf die kommende Rechtslage keine Stelle mehr erhalten.

Bei der Gewerkschaft Ver.di wundert man sich nicht über das Problem. „Für die wissenschaftliche Biografie der Betroffenen ist das natürlich eine Zumutung“, sagt Renate Singvogel. Ver.di habe immer darauf hingewiesen, dass es eine Übergangsregelung für Habilitierende und Privatdozenten brauche oder eine tarifvertragliche Regel für befristete und unbefristete Stellen. Das ist bislang nicht gelungen.