Blick voraus aufs Wahljahr

Drei Tage nach der Nominierung des Herausforderers liefert der Kanzler einen Vorgeschmack auf die Inszenierung, die uns bis zur Wahl bevorsteht

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Wahlkampf? Nein, Wahlkampf will er erst im Herbst machen, sagt der Kandidat, der bereits Kanzler ist. Jetzt werde erst mal regiert. Dass er dann mit dem Regieren gleich so loslegt, dass seinen Wahlkampfberatern vor Freude das Herz im Leibe hüpft, kann bei Gerhard Schröder nicht wirklich überraschen. Es ist Montag, der 14. Januar, oder nach der neuen Zeitrechnung Tag drei der Kanzlerkandidatur von Dr. Edmund Stoiber – und der Amtsinhaber Schröder hat sehr eindeutig das Gefühl, er habe seinem Herausforderer nun aber wirklich lange genug die öffentliche Bühne überlassen.

So kommt der SPD-Vorsitzende nach der Präsidiumssitzung seiner Partei lieber persönlich zur Pressekonferenz, die an weniger glanzvollen Tagen der weniger glanzvolle Generalsekretär Franz Müntefering alleine bestreiten muss. In der folgenden Stunde wird Schröder vor allem eine Botschaft vermitteln: Da wo ich bin, da gehöre ich hin. Auf dem Plakat in seinem Rücken steht es so ähnlich: „Wir in Deutschland“ lautet der Slogan, den die SPD bis zum 22. September bei allen Werbeauftritten verwenden will. Für einen Mann, der einst Kanzler Kohl das Amt abjagte, weil dieser zu bequem geworden war, ist das eine Botschaft von erstaunlicher Trägheit.

Weil Schröder um den Vorwurf weiß, hat er aus der Präsidiumssitzung den Kombilohn mitgebracht. Genauer gesagt die bundesweite Ausdehnung jenes Pilotprojekts, das der Mainzer SPD-Minister Florian Gerster zuvor in Rheinland-Pfalz erprobt hat. Nun eignet sich dieses Thema nicht unbedingt für die legeren Auftritte, die der Wahlkämpfer Schröder so liebt. Doch erstens ist er ja nicht im Wahlkampf, wie er mehrmals betont – und zweitens kann ihm kein Vorwurf seines Herausforderers gefährlicher werden als das Versagen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.

„Wir pieksen nicht Stoiber, wir regieren“, übersetzt einer der Strategen aus dem Willy-Brandt-Haus den Sinn des Auftritts. Ganz ohne Sticheln hält es der Kandidat allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Nach einem mittellangen Kanzler-Vortrag zur Ehrenrettung der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik wird die Pressekonferenz zur Gerd-and-the-Boys-Tour.

Dabei sucht der Protagonist seine Mitspieler nicht in den steifen Gestalten auf der Bühne – dem Generalsekretär und seinem Sprecher –, sondern im Publikum der versammelten Hauptstadtkorrespondenten. Kaum eine Gelegenheit lässt Schröder aus, Fragesteller persönlich und mit Namen anzusprechen. Nur in den ersten Minuten kann man an einen spontanen Ausbruch guter Laune glauben. Tatsächlich erprobt hier einer seine womöglich stärkste Waffe gegen den Herausforderer aus dem Süden: den Medien-Appeal.

Gerhard Schröder feilt wieder an jener ganz eigenen Form des öffentlich zelebrierten Charmes, die seit dem Wochenende zu einem Politikum geworden ist. Auf diesem Gebiet kann Edmund Stoiber, der Hölzerne, es mit ihm nicht aufnehmen. Schröder beherrscht im persönlichen Umgang eine Mischung aus Verführung und Brüskierung, eine Art flirtenden Spott, der ihn in Talkshows wie im Straßenwahlkampf so erfolgreich macht.

War Ihre Arbeitsmarktpolitik so schlecht, wie die Umfragen es nahe legen, lautet eine ironische Frage auf der Pressekonferenz, oder haben Ihre sagenhaften Erfolge nur niemanden erreicht? „Bloß weil das Sie nicht erreicht hat, Herr Wonka“, zieht er einen der kessesten Berliner Journalisten auf, könne man kaum von einer PR-Pleite sprechen. Auch der Herausforderer kommt nicht ungeschoren davon. „Nach der Lösung der personellen Frage werden sicher auch die Inhalte nachgeliefert“, spottet er, „normalerweise macht man das umgekehrt.“ Beifälliges Lachen im Publikum. Nach drei Jahren im Amt ist er auf der Berliner Kleinkunstbühne zu Hause: Da wo ich bin, da gehöre ich hin.

So wird der Auftritt am Tag drei im Willy-Brandt-Haus eine Generalprobe für die Inszenierung, die dem ganzen Land bis 22. September bevorsteht. Dass es da nicht nur lustig zugehen wird, liegt an dem autoritären Zug in Gerhard Schröders Charakter, den selbst der Wahlkämpfer nicht ablegen kann. Wo gelacht wird, bestimmt immer noch der Chef. „Ihre Schwester hat in einer Boulevardzeitung kritisiert, Rot-Grün benachteilige allein Erziehende“, wird der Kanzler gefragt. „Ich finde, Sie sollten etwas respektieren, Herr Bernarding“, fährt Schröder auf, „wer fair ist, lässt Familie draußen – niemand von Ihnen würde das gerne haben.“ Wenig später will ein Journalist wissen, was ihn eigentlich mit Edmund Stoibers Heimat Bayern verbinde. Mit Freuden führt Schröder seine Familie ins Feld. „Meine Beziehung zu Bayern ist eine besonders innige, ich bin nämlich mit einer Bayerin verheiratet.“