Gute Nachbarschaft mit Prag

Zum fünften Geburtstag des deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrags schwirrt die Forderung der Sudetendeutschen nach Entschädigung durch die Presse

PRAG taz ■ Das tschechisch-österreichische Nachbarschaftsverhältnis liegt derzeit dank des Atomkraftwerks Temelín in Trümmern. Umso mehr Glanz verbreitet deshalb der deutsch-tschechische Nachbarschaftsvertrag von 1997.

Unterzeichnet wurde der Vertrag von den konservativen Regierungschefs Helmut Kohl und Václav Klaus. Die ihn tragende Idee der Versöhnung gewann jedoch erst nach dem sozialdemokratischen Regierungswechsel, der in Tschechien wie in Deutschland im Spätsommer 1998 stattfand, an praktischer Form. Der tschechische Premier Miloš Zeman lobpreist bei jeder Gelegenheit sein Verhältnis zum „guten Freund Gerhard Schröder“. Zum fünften Geburtstag des Vertrags sind nun Prager und Berliner Diplomaten damit beschäftigt, Forderungen von Sudetendeutschen nach Entschädigung ganz offiziell zu ignorieren.

Schon der Text des Vertrages, der in jahrelanger Kleinarbeit von Akademikern beider Länder aufgesetzt wurde, zeigt Kompromissbereitschaft: Deutschland erklärte sich verantwortlich für die nazistische Gewaltherrschaft im Protektorat Böhmen und Mähren und drückte sein Bedauern über das Leid, das den Tschechen während dieser Zeit widerfuhr, offen aus.

Der tschechische Teil des Vertrages zeugte vom Beginn eines Umdenkens innerhalb Staat und Gesellschaft. Zum ersten Mal seit Ende des Kriegs bedauerte Tschechien als Nachfolgestaat der Tschechoslowakei das Unrecht, das Unschuldigen durch die „Vertreibung wie auch die Zwangsumsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei“ angetan wurde. Außerdem verurteilen die Tschechen in der Erklärung den „kollektiven Charakter der Schuldzuweisung“.

Beide Länder erklärten sich bereit, einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und die gute Nachbarschaft nicht mehr mit politischen oder rechtlichen Fragen aus der Geschichte zu belasten. Seit der Unterzeichnung hat unter anderem die Entschädigung von Opfern des Nazi-Regimes aus dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds endlich ihren Lauf genommen. Nebenher hat der Fonds auch mehrere Projekte zur Förderung des deutsch-tschechischen Verhältnisses unterstützt, vom Schüleraustausch bis zu zweisprachigen Publikationen.

Ein Projekt ist beim Fonds bislang noch nicht so gut angekommen: die Frage der Entschädigung vertriebener Sudetendeutscher. Im Jahre 2000 trat ein Dreigestirn von Vertriebenenverbänden, allen voran die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL), zusammen mit dem „Verband der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien“ mit einer Entschädigungsforderung an den Zukunftsfonds heran. Sie verlangten von den Tschechen eine deutlichere Geste des Bedauerns als nur Worte. Ein Vorschlag lautete, den von der Vertreibung am schlimmsten Betroffenen (im Gespräch war eine Anzahl von etwa 2.000 Menschen) je 4.000 Mark zu zahlen.

Das Wort Entschädigung wollte so keiner richtig aussprechen. Dem Fonds wurde daraufhin von deutschen Außenministerium geraten, sich erst gar nicht mit dieser Frage zu beschäftigen. Dennoch schwirrt sie auch zum fünften Geburtstag des Nachbarschaftsvertrages immer wieder durch die deutsche und tschechische Presse. „Es gibt keine zwischenstaatliche Debatte“, erklärte ein Prager Diplomat klar und kurz, während das tschechische Außenministerium mitteilt, dass diese Entschädigungsdiskussion rein akademischen Charakter habe.

Möglich, dass sie eines Tages Hand und Fuß bekommen wird. Bis zu den Wahlen im Frühjahr wird aber kein tschechischer Politiker es wagen, sich zu einer solchen Frage konkret zu äußern.

ULRIKE BRAUN