„Das ist Peronismus“

Berlusconi zielt auf die Abschaffung einer unabhängigen Justiz. Er gefährdet das Fundament des Rechtsstaats, meint der Philosoph Paolo Flores D’Arcais

taz: Berlusconi nimmt für seine Koalition das gute Recht in Anspruch, mit Gesetzesänderungen auch in die Ordnung der Justiz einzugreifen. Wieso sollte er dieses Recht nicht haben?

Paolo Flores D’Arcais: Natürlich hat jedes demokratische Parlament das Recht, auf jedwedem Feld gesetzgeberisch tätig zu werden, mit der Einschränkung allerdings, dass die Verfassungsgebote und die grundlegenden Rechtsprinzipien einzuhalten sind. Das erste dieser Prinzipien ist die Gewaltenteilung, das Fundament eines Rechtsstaates. Berlusconi dagegen zielt mit einer Reihe von Gesetzen allein darauf, diverse schon im Gang befindliche Prozesse zu beeinflussen, ja zu annullieren.

Warum macht jetzt der in Mailand noch laufende Prozess Berlusconi besonders nervös?

Weil es in dem Verfahren um Richterbestechung geht, ein sehr gravierendes Verbrechen. Denn es heißt ja nichts anderes, als dass sich jemand sehr grundsätzlich Straflosigkeit sichert.

Zugleich werden aber Stimmen aus der Regierungskoalition laut, die darauf hinauslaufen, dass Berlusconi einer Verurteilung gelassen entgegen sehen kann; ein Rücktritt sei selbst in diesem Falle gar nicht zwingend, heißt es.

Das ist das Resultat der von Berlusconi nun schon seit Jahren gegen die Unabhängigkeit der Justiz geführten Kampagne. Er stützt sich dabei auf ein denkbar einfaches Prinzip: Letztlich entscheide allein der Konsens der Wähler über sein Schicksal. Das ist eine vollkommen außerhalb der Tradition der liberalen Demokratien stehende Position. Eher schon handelt es sich um ein klassisch jakobinisches Prinzip. Ironischerweise beschuldigt Berlusconi seinerseits die Staatsanwälte, sie seien „Jakobiner“. In anderen europäischen Ländern reicht gewöhnlich weit weniger als eine Verurteilung auch nur in erster Instanz, um einen Politiker zum Rückzug zu zwingen – denken wir nur an den Fall Kohl. Berlusconis Koalitionsfreunde dagegen verkünden, nach einer Verurteilung würden sie Neuwahlen ansetzen. Das ist Peronismus. Vor diesem Hintergrund ist es gravierend, dass die anderen Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei die Augen davor verschließen, dass Berlusconi mit ihrer Tradition nichts gemein hat.

Ihre Zeitschrift MicroMega will jetzt ein Referendum gegen das Ratifizierungsgesetz des Rechtshilfeabkommens mit der Schweiz auf den Weg bringen.

Weil es ein Gesetz zur Verhinderung der Rechtshilfe ist. Es enthält Artikel, die die Rechtshilfe unnötig komplizieren, ja in gewissen Fällen unmöglich machen. Persönlichkeiten wie Roberto Benigni, Antonio Tabucchi, Dacia Maraini, Dario Fo, Andrea Camilleri unterstützen unseren Aufruf.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN