npd-verfahren
: Ungestörte Kandidatur

Wenn das als Erziehungsmaßnahme gedacht war, dann hat das Bundesverfassungsgericht vollen Erfolg gehabt. Mit der Absage der mündlichen Verhandlung im NPD-Verfahren hat das Gericht die Stimmung in Deutschland gedreht. Bis vor kurzem noch konnte die Öffentlichkeit – unter dem Eindruck der Anschläge in den USA – den Geheimdiensten nicht genug neue Befugnisse geben. Jetzt herrscht plötzlich Skepsis gegenüber den kaum kontrollierbaren Schattenapparaten vor.

Kommentar von CHRISTIAN RATH

Umso wichtiger ist nun, was die Verfassungsrichter weiter vorhaben, vor allem, wie sie mit den nahenden Bundestagswahlen umgehen. Denn in den nächsten Monaten wird vermutlich keine mündliche Verhandlung stattfinden. Zunächst werden jetzt erst einmal Vermerke ausgetauscht. Dann lohnt es sich nicht mehr, das Verfahren zu beginnen, weil Jutta Limbach, die Chefin des Zweiten Senats, Ende März ausscheiden wird. Anschließend muss sich ihre Nachfolgerin, so sie überhaupt rechtzeitig gewählt wird, erst einmal einarbeiten. Dann naht die sommerliche Beratungspause in Karlsruhe, und schon steht der Urnengang unmittelbar bevor.

Doch ein Gericht, das so auf Fairness setzt wie das Bundesverfassungsgericht, kann schlecht mitten im Wahlkampf das Verbot einer kandidierenden Partei verhandeln. Denn dabei würden die Antragsteller – Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung – gezwungen, offen gegen einen der Wahlbewerber Front zu machen. Und das, obwohl sie als Staatsorgane in der Wahlkonkurrenz doch zur Neutralität verpflichtet sind – auch gegenüber der NPD, die zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht verboten ist und am Ende gar „freigesprochen“ werden könnte.

Ein Verbotsverfahren in der heißen Phase des Wahlkampfs könnte der NPD zugleich kostenlose und breitenwirksame Wahlwerbung bescheren. Doch solche politischen Überlegungen kann das Verfassungsgericht – zumindest offiziell – nicht anstellen. Und wenn, dann würde es wohl auch zum Ergebnis kommen, dass dieser Effekt nicht unbedingt erwünscht ist.

Deshalb gibt es nur zwei saubere Lösungen: Entweder das Verbotsverfahren wird noch deutlich vor dem 22. September abgeschlossen oder es kann erst hinterher richtig beginnen. Wahrscheinlicher ist die zweite Möglichkeit. So beschert uns die Erziehungsmaßnahme des Gerichts zutiefst blamierte Innenminister – und einen kompletten braunen Wahlkampf.

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