Was wusste Schily?

Weitere NPD-Funktionäre als V-Leute enttarnt. Deshalb steht der Rücktritt des angeblich ahnungslosen Innenministers an, meint die Union

aus Berlin ANDREAS WYPUTTA

Die Opposition schlägt in der Affäre um das NPD-Verbotsverfahren gegenüber Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schärfere Töne an. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach warf Schily am Wochenende vor, bei seiner ersten Befragung durch den Bundestagsinnenausschuss am 23. Januar „nicht die Wahrheit gesagt“ zu haben. Er beziehe sich dabei auf Äußerungen Schilys zur Rolle des als V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz enttarnten nordrhein-westfälischen NPD-Vorsitzenden Udo Holtmann, so Bosbach zur taz.

Die Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus berichten in ihren heutigen Ausgaben, der NRW-Verfassungsschutz hätte die Doppelrolle Holtmanns als V-Mann und NPD-Landeschef bereits 1993 kritisiert. Wegen der Brisanz des Falls sei 1995 sogar Helmut Kohls Kanzleramt informiert worden. Sollten die Berichte zutreffen, hätte Schily als verantwortlicher Minister informiert sein müssen.

Schily erklärte dazu am Wochenende im ZDF, von nichts gewusst zu haben: Er habe den Namen Holtmanns „erst vor kurzem auf den Tisch bekommen“. Bosbach deutet der taz an, der Rücktritt Schilys stehe auf der Tagesordnung: „Wir sind in einer Situation, in der der Bundesinnenminister von sich aus die Konsequenzen ziehen müsste.“

Schily-Sprecher Rainer Lingenthal dementierte Aussagen des Thüringer PDS-Bundestagsabgeordneten Carsten Hübner, mit dem Thüringer NPD-Chef Frank Schwerdt sei ein weiterer dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht als Zeuge benannter führender NPD-Funktionär V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen. Die Welt am Sonntag berichtet dagegen, die Verbotsanträge führten die Aussagen von zwei weiteren Spitzeln aus Thüringen als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD an.

Der Innenexperte der FDP, Max Stadler, zeigt sich gegenüber der taz davon überzeugt, dass sich für das Verbotsverfahren „eine Katastrophe, ein Desaster“ anbahnt. Grund sei die mangelhafte Führung der V-Leute durch den Verfassungsschutz. „V-Leute hätten niemals Spitzenpositionen in der NPD einnehmen dürfen.“ FDP-Parteichef Guido Westerwelle hatte am Samstag den Kurs seiner Partei abermals korrigiert und erneut einen Abbruch des NPD-Verbots gefordert: „Das Verfahren ist zu einer Unterstützungsaktion für die NPD geworden.“

Der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Cem Özdemir, hält dagegen an seiner Unterstützung des Bundesinnenministers fest: „Rücktrittsforderungen gegen Schily sind Quatsch.“ Das NPD-Verbot sei aus innen- und außenpolitischen Gründen wichtig und müsse unbedingt fortgesetzt werden. Özdemir appelliert eindringlich an alle Beteiligten, jetzt keine Personaldiskussion zu führen. Die „absurde Situation“ eines Sturzes des Innenministers durch die NPD dürfe nicht zugelassen werden: „Dann müssten auch die Innenminister aller Länder und deren Verfassungsschutzchefs zurücktreten.“