Offener Quellcode für Politiker

Glaubensstreit um die PCs im Bundestag: Eine Initiative fodert die Umstellung der Verwaltung auf das Betriebsystem Linux – der Chef von Microsoft Deutschland protestiert gegen die Unterstellung, Windows behindere die Demokratie

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Firma Microsoft und der Deutsche Bundestag haben bisher friedlich koexistiert. In globaler Sicht dürfte ihre jeweilige Macht etwa gleich groß sein, die Art und Weise jedoch, in der sie ausgeübt wird, ist so verschieden, dass kein deutscher Volksverter einen Anlass sehen konnte, sich in seinen souveränen Rechten eingeschränkt zu fühlen.

Spätestens seit vergangener Woche sind diese friedlichen Beziehungen gestört. Ginge es allein um Politik, müsste man von einer diplomatischen Krise sprechen. Aber es geht nur in zweiter Linie in Politik, sondern vor allem um ein Geschäft – wie nicht anders zu erwarten übrigens, wenn die Firma Microsoft im Spiel ist. Denn auch der Deutsche Bundestag hat auf den geschätzten 500 PCs und den Servern, an denen sie hängen, die Produkte dieser Firma installiert.

Ob die Politik dadurch schlechter oder besser wurde, ist nicht feststellbar. Im vergangenen Herbst jedoch stellten Abgeordnete gleich mehrerer Fraktionen fest, dass dieser Zustand ein Problem sei. Sie fühlten sich plötzlich unwohl an ihren Windows-Geräten, so muss man vermuten, doch nicht etwa, weil dieses viel geschmähte Betriebssystem ihnen den Dienst versagte. Sie hatten schließlich Zeit genug damit verbracht, seine Bedienung zu erlernen. Jetzt aber, da sie mit der Maus leidlich umgehen konnten, fiel ihnen die Gefahr auf, die davon ausgeht. Windows war überall, ohne die Firma Microsoft waren sie folglich nicht mehr in der Lage, auch nur eine einzige kleine schriftliche Anfrage an die eigene Regierung zu stellen.

Gesellschaftliche Codes

Das Ergebnis dieser Beunruhigung war eine überparteiliche Initiative zur Umstellung des gesamten Bundestags auf das alternative Betriebssystem Linux. Der Aufruf kann immer noch unterzeichnet werden und ist unter www.bundestux.de einsehbar. Einer der Kernsätze: „Die demokratischen Gremien der Bundesrepublik Deutschland sollten bei der IT Nutzung darauf achten, demokratische Spielregeln möglichst auch im Sekundärbereich zu berücksichtigen. Nur Freie Software ermöglicht durch den offen zugänglichen Quellcode eine gesellschaftliche Überprüfung und Verbesserung von Programmen.“ Und weiter: „Der uneingeschränkte Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu öffentlichem Wissen und zum öffentlichen Sektor kann rational und kostengünstig nur mit Freier Software realisiert werden.“

Nun ist die Firma Microsoft harsche Kritik gewohnt. Aber die Forderung einer „gesellschaftlichen Überprüfung und Verbesserung von Programmen“ , die dieser Großkunde aufstellte, konnte nun doch nicht unwidersprochen bleiben. Vertreter der deutschen Tochter bekamen aus Redmond die Erlaubnis, ausgewählten Vertretern des Bundestags den Quellcode von Windows zur Verfügung zu stellen, und am Freitag wandte sich schließlich Kurt Sibold, Vorsitzender der Geschäftsführung und „Vice-President EMEA“, höchstselbst an die Öffentlichkeit. Er äußert sich nicht zu der Frage, ob der „Zugang zu öffentlichem Wissen“ im Falle deutscher Verwaltungen tatsächlich von der Wahl des dort eingesetzten Betriebssystems abhängt. Vielmehr erinnert er an die 1.300 Arbeitsplätze seines Unternehmens und verwahrt sich gegen den Umkehrschluss, der sich aus der Forderung der Kampagne zwingend ergebe: „Was Sie mit der Unterstützung dieser Kampagne bewirken, ist eine öffentliche Diskriminierung unserer Produkte und Dienstleistungen als undemokratisch und als demokratiebehindernd. Wie meine 1.300 Mitarbeiter in Deutschland sich bei solchen Anschuldigungen fühlen, habe ich über zahlreiche E-Mails erfahren.“

In erstaunlicher Unkenntnis des Seelenlebens deutscher Volksvertreter fordert Sibold am Ende dazu auf, zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren. Über Vor- und Nachteile von Betriebssystemen lasse sich reden. Längst steht nicht mehr in Frage, dass Linux auch die Aufgaben bewältigen kann, die sich aus der Arbeit des Deutschen Bundestags ergeben. Das können sich nicht nur die Erstunterzeichner der Initiative „vorstellen“, wie sie in der Überschrift schreiben, sondern auch Kurt Sibold und seine Firma.

Prestige am PC

Nur ging es um derart sachliche Fragen nie – auch nicht um solche Nebenaspekte wie etwa die Kosten der Umschulung des gesamten technischen Personals. Damit verglichen dürften die Lizenzkosten des Programms selbst zu vernachlässigen sein. Was die deutschen Parlametarier bewegt, ist ein innerer Konflikt, den Sibold eigentlich noch aus dem vergangenen Jahrhundert kennen müsste. Damals, als im Bundestag noch kein Mensch einen Computer benutzen wollte, galt in den Kreisen, die das taten, ein PC mit dem Betriebssystem DOS einfach als ungehörig. Man hatte einen Mac oder man hatte eben keinen.

Heute, da dieser Streit längst entschieden ist, wird das Bedürfnis nach Prestige anders befriedigt, und anders als damals möchten deutsche Abgeordnete gerade an ihrem Computer sicher sein, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Noch immer völlig ahnungslos in der Sache, verstehen sie Begriffe wie „Open Source“ und die kollektive Entwicklung von Programmen in der Open-Source-Gemeinde so, als gehe es darum, demokratische Entscheidungen und Kontrollmechanismen einzuführen. Natürlich ist das absurd. Computer lassen sich nicht mit Mehrheitsentscheidungen verbessern, und etwas kleinlaut gaben die Verwaltungsmitarbeiter zu, dass sie von den etwa 32 Millionen Programmzeilen des Quellcodes von Windows schon etwas überfordert seien.

Mag sein, dass die Linux-Gemeinde mit weniger auskommt, die Vorstellung jedoch, dass Politiker demnächst nicht nur über Programme gegen die Arbeitslosigkeit, sondern auch noch über den besten Kernel für den Server des Arbeitsamts debattieren, ist so lächerlich, dass der diplomatische Konflikt der beiden Mächte bald überwunden sein wird. Leider hat die Kampagne der Open-Source-Bewegung damit einen schlechten Dienst erwiesen. Die eifrigen Politiker hätten ihre Zeit vielleicht besser darauf verwandt, die notorischen Geschäftspraktiken von Microsoft auch in Deutschland schärfer zu beobachten, statt mit der Maus herumzuklicken und von der neuen Spielzeugeisenbahn zu träumen, die „Linux“ heißt.

niklaus@taz.de