Die neue Übersichtlichkeit

Neorealismus revisited: Mit „Happy Times“, einer sentimentalkritischen Komödie aus dem gegenwärtigen China, will Zhang Yimou zurück zum Naiven (Wettbewerb)

In manchem Filmen weiß man schnell, wer die Guten, wer die Bösen sind und wie die Geschichte enden wird. „Happy Times“ ist so: einfach, klar, direkt und viel zu übersichtlich.

Da ist der arme, heiratswütige Rentner Zhao (Zhao Benshan), seine dicke Angebetete mit ihrem dicken, verwöhnten Sohn und ihrer dicken Ledercouch. Man weiß schnell, dass aus dieser Liaison nichts werden wird – mag Zhao noch so clevere Ideen haben, um an Geld zu kommen. So macht er mit einem Eimer rote Farbe aus einem verrosteten Buswrack eine Art Stundenhotel, die verwegenste Idee des Films. Es tut alles für seinen bösen, gierigen, dicken Traum. Er nimmt sogar Wu (Dong Je), die ungeliebte, blinde Stieftochter des Hauses, unter seine Fittiche.

Aber es hilft nichts. So entspinnt sich eine Liebesgeschichte ganz anderer Art: Zhao hat Mitleid mit Wu, die er anfangs behandelt wie ein Möbelstück, das im Weg steht. Für sie inszeniert er einen Job als Masseurin. Es ist alles Lug und Trug, in Szene gesetzt mit entlassenen Arbeitern einer abgewrackten Fabrik und für einen guten Zweck. Ein Hörfilm, der Wu die Illusion verschafft, etwas nütze zu sein und Geld für ihre Augenoperation zu verdienen.

„Happy Times“ ist eine kleine, menschenfreundliche Komödie: sentimental, aber Happy End und Versöhnung sorgsam vermeidend. Sehen wird Wu am Ende nicht. Aber sie durchschaut Zhaos rührende Farce, seinen kleinen Betrug. Das ist das Glück, das ihr geschenkt wird, ein kleines, kitschfreies Glück.

Yimou inszeniert diese Geschichte ruhig und routiniert: mit unaufwendiger Kamera, mit wenig, präzise gesetzter Musik, mit langen, zu langen Dialogen. „Happy Times“ überrumpelt uns nicht mit ästhetischem Budenzauber, er will uns nur durch die humane Kraft der Geschichte, der langsamen Annäherung zwischen Zhao und Wu, anrühren. Yimou will mit „Happy Times“ zurück zu einer Dramaturgie des Einfachen, zu einer Naivität, die an Chaplin und die italienischen Neorealisten erinnert. Trauen können wir solchen sozialgefühligen Geschichten, in denen Schwarz und Weiß so klipp und klar getrennt sind, trotzdem nicht mehr. STEFAN REINECKE

„Happy Times“. Regie: Zhang Yimou. China 2000, 96 Min.