„Geld ist die Hauptsache!“

Bei der CDU war es schon immer so: Spenden sammeln und die Partei modernisieren war eins. Nicht erst Helmut Kohl, sondern schon sein großes Vorbild Konrad Adenauer steuerte die Partei durch das großzügige Verteilen von Spendengeld. Tiefe Einblicke in dieses System gewährt Frank Bösch

Als erster Forscher konnte Bösch die Finanzakten der CDU einsehen

von RALPH BOLLMANN

Der 36-jährige Nachwuchspolitiker konnte es kaum fassen. Schlicht „skandalös“ fand er es, dass sich die CDU überwiegend aus Spendengeldern finanzierte. Fast müsse man zu dem Schluss kommen, die Union sei „keine demokratische Partei“, erklärte der Pfälzer vor dem versammelten Bundesvorstand. Ja, es bedürfe eines neuen Parteiengesetzes, damit die CDU endlich den Weg „zur innerparteilichen Demokratie“ einschlage.

In den Sechzigerjahren kritisierte Helmut Kohl vehementer als jeder andere das bestenfalls halblegale System der Spendenbeschaffung, das der erste CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer nach dem Krieg aufgebaut hatte. Und besser als jeder andere verstand Kohl es in den Achtziger- und Neunzigerjahren, dieses System zu perfektionieren. Wie in den späten Sechzigerjahren wurde auch in den späten Neunzigern erst nach dem Machtverlust die Spendenpraxis öffentlich gemacht und kritisiert.

Durch diesen Skandal bekamen die Recherchen zur Adenauer-CDU, mit denen der junge Göttinger Historiker Frank Bösch bereits 1996 begann, plötzlich eine unerwartete Aktualität. Als erster Forscher konnte Bösch die Finanzakten der Partei einsehen – und zusammen mit weiteren, bislang kaum beachteten Quellen ergaben sie die überraschende Einsicht: Das Spendensystem, das im Winter 1999/2000 die Berliner Politikszene in Atem hielt, geht in seinen Grundzügen auf die frühen Fünfzigerjahre zurück.

„Geld ist die Hauptsache! Geld, Geld, Geld“, hatte Adenauer schon während des ersten Bundestagswahlkampfs 1949 erklärt. Doch eine staatliche Parteienfinanzierung gab es noch nicht, und bei den Mitgliedsbeiträgen konnte die vergleichsweise locker organisierte CDU mit der konkurrierenden SPD nicht mithalten. Die Wirtschaft dagegen war durchaus bereit, das Ringen um eine bürgerliche Mehrheit mit ein paar Mark zu unterstützen – vorausgesetzt, die Gelder würden nicht versteuert und die Namen der Spender nicht veröffentlicht.

Beiden Zwecken diente jene „Staatsbürgerliche Vereinigung“, die in den späteren Spendenaffären eine zentrale Rolle spielen sollte. Obendrein entstand ein Verlag, der ausschließlich dem Waschen von Spendengeldern diente – auch wenn zur Tarnung die Herausgabe eines völlig nutzlosen Blättchens namens „Wirtschaftsbild“ erforderlich war. Womöglich erklärt diese Vorgeschichte auch, warum Unionspolitiker hinter den Verlagen der SPD stets dunkle Zwecke vermuten.

Die Einführung der staatlichen Parteienfinanzierung legte diese Finanzströme keineswegs trocken. Denn das Spendensystem hatte einen Vorteil, den die Staatsgelder nicht bieten konnten: Es stellte Mittel bereit, die der engste Führungszirkel nach Gutdünken verteilen konnte. Wie später Kohl, so steuerte bereits Adenauer die Partei nicht zuletzt durch das freihändige Verteilen von Spendengeld. Dabei assistierten ihm sein Bankier Pferdmenges und sein Staatssekretär Globke. Der Kanzleramtschef mit der braunen Vergangenheit, der nie ein Parteiamt innehatte, wuchs auf diese Weise in die offiziell gar nicht vorhandene Funktion eines Generalsekretärs hinein.

Nicht nur, aber auch durch die Spendengelder entstand eine höchst effiziente Führungsstruktur, die in keiner Satzung festgeschrieben war. Mit dem Bild der altmodischen Honoratiorenpartei, deren heterogene Landesverbände sich jeder Steuerung entzogen, räumt Bösch gründlich auf. Zielstrebig setzte Adenauer seinen Kurs der konservativen Sammlung auch in den Landesverbänden durch.

Um die überkommene Spaltung des bürgerlichen Lagers zu überwinden, wachte der katholische Kanzler und frühere Zentrumspolitiker peinlichst über den konfessionellen Proporz. Erst der Druck aus Bonn bewirkte, dass in allen mehrheitlich protestantischen Bundesländern evangelische Landesvorsitzende ans Ruder kamen – ein wahrer Kraftakt in einer von Katholiken dominierten Partei. Die Kandidatenlisten folgten einem konfessionellen Proporz, dessen Strenge selbst die vielfältige Quotierung bei den heutigen Grünen in den Schatten stellt. Aber erst diese Strategie verhalf der CDU zu Wahlerfolgen in Regionen wie Niedersachsen, Hessen oder Württemberg.

Die Stärkung des protestantischen Flügels dämpfte auch die Neigung zu Koalitionen mit der SPD, die den sozialpolitisch orientierten Katholiken als Wunschpartner galt. Auch in der Bündnispolitik zog Adenauer von Bonn aus die Fäden. Tatsächlich gelang es ihm mit einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche, die bürgerlichen Konkurrenzparteien entweder – wie die FDP – an die Union zu binden oder sogar gänzlich aufzusaugen.

Das alles fügt sich zum Panorama einer konservativen Modernisierung, die im zersplitterten bürgerlichen Milieu nur deshalb möglich war, weil sie so verdeckt und jenseits einer offiziellen Parteistruktur verlief. Sie wurde bislang unterschätzt, weil die Mitgliederpartei SPD mit ihren fest gefügten Strukturen stets als der Prototyp einer „modernen“ Partei galt – und diesen Organisationsstand erreichte die Union erst in den Siebzigerjahren.

Die Adenauer-CDU galt bislang gar nicht als richtige Partei, und deshalb wurde sie auch kaum erforscht – im Gegensatz zu den Haupt- und Staatsaktionen des ersten Bundeskanzlers, denen konservative Biografen wie Hans-Peter Schwarz oder Henning Köhler umfangreiche Werke widmeten.

Doch heute leiden alle Parteien gleichermaßen unter Mitgliederschwund, und der sozialdemokratische Ortsverein hat jeden Vorbildcharakter längst verloren. Und in dieser Perspektive erscheint manches in neuem Licht: Waren Adenauers professionell organisierte Wahlkämpfe, unter Einsatz aller Mittel vom Salonwagen bis zu Werbefilmchen, nicht eminent modern? Eilte die extreme Zuspitzung auf die Person des Kanzlers, die alle Sachthemen überdeckte, der Zeit weit voraus? Vieles an den vermeintlich amerikanisierten Wahlkämpfen, die Willy Brandt seit 1961 führte, war nicht nur bei Kennedy abgeschaut, sondern auch bei Adenauer.

Mit solchen Erkenntnissen hebt sich Böschs Buch wohltuend vom Schwarzweiß älterer Arbeiten ab, die Adenauer wahlweise heilig sprachen oder verteufelten. Spendensünder und Modernisierer – das gehört eben untrennbar zusammen, und ein solcher Sinn für Ambivalenzen kann auch heute nützlich sein. Die Zuspitzung auf eine einzelne Person, die Professionalisierung der Wahlkämpfe: Das alles ist nicht so neu und skandalös, wie manche Kritiker des Berliner Politikbetriebs meinen. Aber das Spendensystem Adenauers und Kohls zeigt auch, welche Risiken in dieser Form von Modernisierung stecken.

Frank Bösch: „Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945–1969“. 576 Seiten, DVA, Stuttgart 2001, 39,80 €