„Barcelona gehört mir“

Menschen, die nicht kämpfen können, weil es ihnen an der nötigen „éducation sentimentale“ fehlt: Der spanische Regisseur Ventura Pons über Zuneigung, Aufopferung und die glänzende Stadt in seinem Film „Food of Love“

taz: Herr Pons, im heimlichen Mittelpunkt von „Food of Love“ steht eine Mutter, die sich für ihren Sohn aufopfert und dabei immer hysterischer wird. Ist das eine zeitgemäße Frauen figur?

Ventura Pons: Seltsamerweise ist sie vielleicht die realste Figur des ganzen Films. David Leavitt [der Autor der Romanvorlage] sagt, sie sei eine Art Alter Ego seiner eigenen Mutter. Mir gefällt diese Figur sehr, ich glaube, sie ist die wichtigste im Film. Man würde nichts auf sie geben, und trotzdem ist sie eine Kämpfernatur. Sich für die Verwirklichung ihres Sohnes einzusetzen ist ihre Verwirklichung.

Alle anderen Figuren verfolgen mehr oder minder zielstrebig, was sie begehren. Sie hingegen scheint für sich selbst gar nichts zu begehren.

Im Grunde ist „Food of Love“ ein Film, in dem ich die Themen aller meiner Filme verhandele: die Notwendigkeit, sich zu begegnen und zu kommunizieren, und der Kampf, den man dafür austrägt. Es geht um Menschen, die lieben und geliebt werden wollen, die berühren und berührt werden wollen. Das gilt natürlich auch für die Figur der Mutter.

„Sei nicht melodramatisch“ fährt der Sohn sie einmal an. Ist sie eine Figur aus dem Melodram?

Möglicherweise. Immerhin ist sie den ganzen Film über kurz davor, gefährliches Terrain zu betreten. Das Schöne daran ist, dass der Film sich in die Richtung eines Kinos des Gefühls bewegt.

Spielt das Melodram als Genre für Sie überhaupt ein Rolle?

Nein. Was mich interessiert, sind die Geschichte und die Augenblicke, in denen die Figuren bewegt sind, weil sie in Konflikten stecken und dementsprechend starke Gefühle entwickeln. Gefühle beim Publikum hervorzurufen hingegen interessiert mich weniger.

Der Protagonist ist am Anfang naiv, später beginnt er, Gefühle und Sex einzusetzen, um etwas zu erreichen.

Er lernt schnell, und er macht es sich nicht gern schwer. Wenn es ihm eigentlich darum geht, Pianist zu werden, kämpft er nicht genug. Niemand hat ihm eine „éducation sentimentale“ zuteil werden lassen.

War es wichtig, dass es sich um schwule Beziehungen handelt?

Das könnte man glauben. Aber es ist nicht so. Die Normalität liegt darin, dass man das Spezifische vergisst. Im Vordergrund stehen die Figuren und der Mangel an Zuneigung – das Thema, das ich immer wieder wiederhole.

Ihre Filme sind meist in Barcelona angesiedelt. Sie zeichnen ein Porträt der Stadt, dem man anmerkt, wie sehr Sie Barcelonakennen und schätzen. Diesmal jedoch zeigen Sie eine Stadt wie aus dem Reiseprospekt. Ist das allein dem Umstand geschuldet, dass die Figuren als Touristen unterwegs sind?

Touristen besuchen nun einmal die entsprechenden Orte, sie schauen sich die hässlichen Seiten einer Stadt nicht an. In dramaturgischer Hinsicht war es entscheidend, die Figuren aus ihrem gewohnten Umfeld herauszulösen, weil sie anders miteinander umgehen, wenn sie auf Reisen sind. Es hätte auch eine andere europäische Stadt sein können, solange sie geschichtsträchtig ist. Im Roman ist es Rom, aber David Leavitt fand die Wahl Barcelonas gut. Ich liebe Barcelona. Es ist ein Raum, der mir gehört.

INTERVIEW: CRISTINA NORD