„Dann haben wir eine Zigarette geraucht“

Fünf junge Männer quälten im August 2001 einen Obdachlosen in Dahlewitz zu Tode. Beim Prozessauftakt legte der erste Angeklagte gestern ein detailliertes Geständnis ab. Nur warum er den Mann quälte, kann er nicht so recht erklären. Staatsanwaltschaft sieht keinen politischen Hintergrund

Gebrochene Rippen, Blutgerinnsel im Kopf – der Tod des Obdachlosen Dieter M. aus Dahlewitz bei Berlin war qualvoll. Kühl und distanziert schilderte gestern der 21-jährige Dirk R. am ersten Tag des Prozesses um den Tod des 61-Jährigen am Potsdamer Landgericht, wie er gemeinsam mit seinen mitangeklagten Freunden Dieter M. am Abend des 8. August 2001 zum Opfer auserkor. Dass er „Lust hatte, sich zu schlagen“ und seine 17- bis 22-jährigen Freunde beim allabendlichen Biertrinken ihm zugestimmt hätten.

Gemeinsam war die Gruppe zu dem Gartenbungalow gezogen, in dem Dieter M. wohnte – direkt neben dem Haus, in dem Dirk R. wenige Monate zuvor eingezogen war. Den Ort kannte der unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten gerichtsbekannte Dirk R. schon von einem vorangegangenen Übergriff auf einen Freund des Obdachlosen.

Als Dieter M. die Tür des verwitterten Gartenhäuschens öffnete, schlug Dirk R. ihm zunächst „drei Mal ins Gesicht“. Während der jüngste aus der Gruppe, der 17-jährige Gymnasiast Uwe R., im Garten Schmiere stand, ließen die vier Älteren ihren Aggressionen freien Lauf. Der wehrlose und angetrunkene Mann hatte keine Chance. Auf die Schläge folgten Fußtritte, brennende Zigaretten wurden auf Armen und Gesicht ausgedrückt.

Den Aussagen des geständigen Dirk R. zufolge, der selbst einräumte, die Barthaare des Opfers mit einem Feuerzeug angezündet zu haben, soll einer der jungen Männer versucht haben, einen Stock in den After des Obdachlosen einzuführen, während die Gruppe lachend daneben stand.

Eine halbe Stunde dauerten die Misshandlungen, dann stellten die Angreifer ihrem Opfer ein Ultimatum. Er hätte noch fünf Minuten, um zu verschwinden. „Während der Zeit standen wir vor der Hütte und haben eine Zigarette geraucht“, sagt Dirk R. unbewegt.

Nachdem auch der Jüngste noch zum Schlagen aufgefordert wurde, versteckte die Gruppe das regungslose Opfer in einem Gebüsch, wo es wenig später starb. Die jungen Männer waren da schon zum nächsten potenziellen Opfer weitergezogen, einem Freund von Dieter M., der nur durch Zufall überlebte, weil er in Begleitung war.

Die Anklage wirft Dirk R. sowie seinen Mitangeklagten Dirk B. (22), Ralf W. (21), Ronny R. (20) Mord und dem 17-jährigen Uwe R. Totschlag vor. Die jungen Männer aus Blankenfelde, Mahlow und Dahlewitz sollen Dieter M. „wegen seiner Lebensweise verachtet“ und „grundlos“ angegriffen haben. Doch auf die Frage des Vorsitzenden Richters der Großen Jugendkammer, Klaus Przybylla, was der Obdachlose den fünf jungen Männern, deren eigene Lebensläufe mit abgebrochenen Schulbesuchen und Ausbildungen, Arbeitslosigkeit, Alkoholkonsum und zerrütteten Elternhäusern sie selbst zu Außenseitern stempelte, denn getan habe, zuckt Dirk R. mit den Schultern: „Ich weiß nicht.“ Um dann beinahe trotzig hinzuzufügen. „Ich hab nichts gegen Obdachlose und Alkoholiker.“

Nur in Nebensätzen wird die Verachtung des Angeklagten Dirk R. für sein Opfer deutlich. Dieter M. habe in der Gartenlaube „gehaust“, nicht gewohnt, korrigiert R. selbstbewusst den Richter.

Seine Mitangeklagten, die sich am kommenden Montag ebenfalls zu den Vorwürfen einlassen wollen, senken derweil die Köpfe. Einer von ihnen, der 22-jährige Dirk B., wurde als Anführer besonders schwer belastet.

Fotos aus der Tatzeit zeigen ihn als kahl geschorenen Skinhead mit Bomberjacke. Heute im Gerichtssaal wellen sich die in der Untersuchungshaft nachgewachsenen Haare über einem braven Strickpullover.

Keiner der Angeklagten will eine rechte Gesinnung gehabt haben; auch die polizeilichen Durchsuchungen haben kein einschlägiges Propagandamaterial zu Tage gefördert. „Die Tat hatte keinen politischen Hintergrund“, sagt dann auch Staatsanwalt Peter Petersen.

Nach der seit 2001 geltenden neuen kriminalstatistischen Definition reicht jedoch eine „Verachtung für Obdachlose“ als Motiv aus, um die Tat als politisch motiviert zu werten.

HEIKE KLEFFNER