Versteckspiel im Kaukasus

Die USA eröffnen eine neue Front gegen den Terror, auf leisen Sohlen, ohne dem russischen Bären auf die Tatze zu treten. Und wieder geht es auch um Öl

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Auf den ersten Blick scheint es, als sei die offiziell gerade aufgelöste Abteilung für weltweite Desinformation des Pentagons am Werk. US-Truppen nach Georgien? Keine Spur, behauptete gestern der stellvertretende georgische Verteidigungsminister Gela Beschuaschwili, es handele sich lediglich um einen lange geplanten Besuch von fünf US-Militärberatern, mit denen über ein langfristiges Kooperationsabkommen im südlichen Kaukausus gesprochen worden sei. Bereits eine Nuance genauer ließ sich dagegen sein Kollege Irakly Alasania zu dem Thema ein. Alasania, ebenfalls stellvertretender Minister, aber für die innere Sicherheit zuständig, bestritt im georgischen Fernsehen nicht, dass es den Amerikanern um eine Aktion gegen islamistische Rebellen gehe, die sich angeblich im georgischen Pankisi-Tal an der Grenze zu Tschetschenien aufhalten – doch wenn, „dann werden wir gegen die nur mit unseren eigenen Truppen vorgehen“, behauptete Minister Alasania.

Ganz anders die russische Nachrichtenagentur INTER-TASS, die meldete, es seien bereits 200 US-Elitesoldaten in Georgien, die sich in den kommenden Tagen auf die Suche nach Al-Qaida-Terroristen machen würden, die sich unter den Tschetschenen im Pankisi-Tal versteckt hätten. Auch US-Medien berichteten, das Pentagon plane, bis zu 200 Militärberater nach Georgien zu verlegen, damit die, ähnlich wie auf den Philippinen, die georgische Armee im Kampf gegen „islamische Terroristen“ unterstützen könnten. Diese Version wurde von ungenannten Quellen aus dem Pentagon bestätigt.

Nun haben Minister – und erst recht stellvertretende – in Georgien nicht viel zu melden. Vielleicht wissen sie noch nicht einmal tatsächlich Bescheid. Entscheidungen darüber, welche ausländischen Truppen ob und wann ins Land kommen, trifft ganz allein Präsident Eduard Schewardnadse, und der laviert seit längerem zwischen Russland und den USA hin und her. Den Russen ist das georgische Pankisi-Tal als angebliches Rückzugsgebiet tschetschenischer Rebellen seit langem ein Dorn im Auge. Sie drängten Schewardnadse schon mehrfach, russische Truppen zu einer Aktion gegen die angeblichen Terroristen ins Land zu lassen, was Schewardnadse bislang immer abgelehnt hat. Erst in den letzten Wochen signalisierte er gegenüber Putin, eine gewisse Zusammenarbeit gegen „Kriminelle“ die sich im georgischen Pankisi-Tal versteckt hätten, sei eventuell denkbar.

Da war aber bereits eine größere US-Delegation im Land gewesen, die im Januar laut US-Oberstleutnant Ed Loons, Angehöriger des US-Hauptquartiers in Europa, Georgien besuchte, um herauszufinden, wie man die Truppen vor Ort am besten unterstützen könne. Als Ergebnis dieses Besuchs seien bereits zehn US-Kampfhubschrauber an Georgien geliefert worden. Damit fügt sich das Puzzle dann langsam zusammen. Schewardnadses größte Angst der letzten Jahre war, dass Russland den Krieg in Tschetschenien nutzen könnte, um unter dem Vorwand der Terroristenverfolgung Georgien wieder unter russische Kontrolle zu bringen. Deshalb hat er bereits vor Jahren die OSZE gebeten, in den Bergen entlang Tschetschenien Beobachtungsposten einzurichten, die bestätigen sollen, dass aus Georgien kein militärischer Nachschub an die tschetschenischen Rebellen geht. Das war aber letztlich nur ein schwacher Trost. Nur mit Rückendeckung der Amerikaner, so die allgemeine Meinung in Tiflis, könne man auf Dauer dem russischen Drängen widerstehen.

Der von US-Präsident Bush erklärte weltweite „Kampf gegen den Terrorismus“ hat Schewardnadse nun offenbar das erhoffte stärkere US-Engagement im Südkaukasus gebracht. Zwar war Georgien für die USA seit dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 ein wichtiger Schlüsselstaat, in den sie nach Israel die weltweit höchste Pro-Kopf-Auslandshilfe steckten, aber bislang schreckte Washington davor zurück, sich direkt an der Grenze zu Russland militärisch zu engagieren. Die Verfolgung der angeblichen Al-Qaida-Terroristen ist nun die goldene Gelegenheit, einen Fuß in die Tür zu bekommen, ohne dem russischen Bären auf die Tatze zu treten. Erst einmal scheinen die USA ja nur zu bestätigen, was Putin immer behauptet hat. Die Tschetschenen seien Teil einer islamischen Terror-Internationale und müssten bekämpft werden wie die Taliban in Afghanistan. Da kann er ja nun nicht protestieren, wenn die USA sich seiner Sicht der Dinge anschließen.

Russische Militärs kritisieren allerdings schon jetzt, dass Putin seine vermeintliche antiterroristische Zusammenarbeit mit den USA langfristig teuer zu stehen kommt. Misstrauisch mussten sie mit ansehen, wie US-Truppen in Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan Fuß fassten und nun über Stützpunktverträge jahrelang in der Region bleiben werden. Auch im Kaukasus, so fürchten sie, würden die US-Truppen, erst einmal gelandet, nicht so schnell wieder gehen. Tatsächlich hätten die USA gute Gründe, länger dort zu bleiben. Das hat weniger mit al-Qaida als vielmehr mit den Ölvorkommen im Kaspischen Becken zu tun. Acht Jahr lang hat der vormalige US-Präsident Clinton die Staatschefs in Kasachstan, Aserbaidschan und Georgien gedrängt, das Öl vom Kaspischen Meer über eine große Pipeline – an Russland und dem Iran vorbei – in den Westen, an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan zu liefern. Doch die Staatschefs stritten sich bereits im Vorfeld über die möglichen Anteile an den Gewinnen, und den großen Ölkonzernen war die Pipeline zu unsicher und zu teuer. Mit US-Truppen in Georgien würde sich das ändern, die Pipeline könnte endlich gebaut werden.

Derweil kann man im Pankisi-Tal eine gemeinsame Militäraktion mit den Russen veranstalten, denn dass georgische Soldaten dort aktiv werden, glaubt im Ernst nicht einmal der stellvertretende Verteidigungsminister Beschuaschwili. Im letzten Jahr konnte Schewardnadse eine Meuterei seiner Truppen, die seit Monaten kein Geld und seit Wochen kein Essen bekommen hatten, nur mühsam eindämmen.