Schewardnadses brüchiger Staat

Georgien ist seit langem von Krisen und Bürgerkriegen geschüttelt. Russland schürte die Konflikte

MOSKAU taz ■ Die Kaukasusrepublik Georgien ist ein instabiles Gebilde. Seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 kommt das Land, das einst als Paradiesgarten der UdSSR galt, nicht zur Ruhe. Georgien ist einer jener Staaten, die Politikwissenschaftler als „failing state“ bezeichnen, ein Gebilde, dem es versagt blieb, tragfähige politische Strukturen zu entwickeln.

Westliche Politiker gehen schonender mit dem Kaukasusstaat um. Das hat nur einen einzigen Grund: die Person Eduard Schewardnadses, der seit 1992 die Geschicke in Tiflis lenkt. Dem ehemaligen sowjetischen Außenminister, der nicht nur die Berliner Mauer mit zu Fall brachte, hat der Westen einiges zu verdanken.

Der außenpolitische Erfolg des Präsidenten steht in scharfem Kontrast zu den innenpolitischen Schwierigkeiten. Die georgische Demokratie ist schwach. In den letzten Jahren wächst überdies die Kritik am Staatschef von allen Seiten, auch von ehemals engen Gefolgsleuten. Vetternwirtschaft und Korruption wirft man seinem Clan vor. Wohl nicht zu Unrecht. Seit fast dreißig Jahren verwaltet Schewardnadse das Land, vor 1992 in seiner Rolle als Vorsitzender der georgischen Filiale des Moskauer Geheimdienstes KGB.

Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, auf den sich die widerstreitenden Interessen dennoch bringen lassen, dann ist es die Behauptung der staatlichen Souveränität gegenüber Russland, das Tiflis seit zweihundert Jahren an der kurzen Leine hält. Der Verlust Georgiens ist Moskau besonders schwer gefallen. Wo sich dem Kreml seit der Selbstständigkeit die Chance bot, das Land zu destabilisieren, hat es diese auch wahrgenommen. Bis 1992 unterstützten reaktionäre Kreise in Moskau die separatistischen Bestrebungen der Südosseten, die einen Anschluss an das zu Russland gehörende Nordossetien verlangten. Ein blutiger Konflikt zog sich über drei Jahre hin – für Georgien bedeutete er erst den Auftakt einer opferreichen Leidensgeschichte.

Die nationalistische Politik des ersten Präsidenten Swiad Gamsachurdia, der 1992 durch einen Putsch und Bürgerkrieg vertrieben wurde, erleichterte es den imperialistischen Kräften in Moskau, bei georgischen Minderheiten auf offene Ohren zu stoßen. Hinter dem Seezessionskrieg der Abchasen 1992 waren unschwer die militärischen Drahtzieher aus Russland zu erkennen. 600.000 Georgier wurden aus der am Schwarzen Meer gelegenen ehemals blühenden Tourismusregion vertrieben. Seit 1993 wachen ein Kontingent russischer Truppen neben UN- und OSZE-Delegationen über die Einhaltung des Friedens.

Von dem Krieg hat sich Tiflis bisher nicht erholt. 600.000 Flüchtlinge zu integrieren, ein Sechstel der Gesamtbevölkerung in einer von Landwirtschaft geprägten Ökonomie, überfordert den Staat. Wegen der ethnischen Spannungen erlangten auch die anderen Küstenregionen Georgiens nicht mehr ihre frühere Rolle als Urlaubsgebiete. Die an der Grenze zur Türkei gelegene Republik Adscharien führt überdies schon seit Jahren ein Eigenleben. Die vergleichsweise wohlhabende Republik bestreitet nach Aussagen ihres Führers Aslan Abaschidse einen Großteil des Staatsbudgets, ansonsten versucht die Region einen von Tiflis unabhängigen Weg zu gehen.

Bisher war es gerade die Instabilität des Landes, die den Westen davon abhielt, Georgien enger an sich zu binden. Die amerikanische Präsenz dürfte die Position Eduard Schewardnadses zumindest vorübergehend stärken und langfristig zu einer innenpolitischen Konsolidierung beitragen.

KLAUS-HELGE DONATH