Selbsterfahrungskurs unter griechischer Sonne

■ In Filmsprache übersetzte Erinnerung: Heute startet Jeanine Meerapfels Film „Annas Sommer“

„Sogar mein Bauchnabel ist runzlig.“ Spiegel lügen nicht, und Anna (Angela Molina) kann nicht leugnen, in einem Alter zu sein, in dem Frauen als reif gelten, während von Männern gesagt wird, sie seien „in den besten Jahren“. Anna hat einen Sommer der Selbstbespiegelung und Rückschau vor sich. Nach dem Tod ihres Mannes Max (Herbert Knaup) ist sie zurückgekehrt in ihr verwaistes Elternhaus auf einer griechischen Insel. Sie öffnet eine alte Truhe, und Erinnerungen entsteigen ihr. Erinnerungen an ihre Eltern, ihre Großmutter. Alte Erinnerungen, die sich mit jüngeren an Max vermengen und sich mit der Gegenwart der Insel mischen, den Treffen mit der alten Freundin, der Affäre mit dem jungen, knackigen Nikola. Und am Ende hat Anna die Truhe neu geordnet, Stücke hinzugefügt, und sie verlässt die Insel. Ihr Elternhaus hat sie doch nicht verkauft.

Spontan ausgelöste Erinnerung funktioniert sprunghaft und selektiv. Darin eher der Traumdramaturgie verwandt als der linear erzählten Geschichte, versucht Regisseurin Jeanine Meerapfel für Annas Sommer eine eigene Filmsprache zu entwickeln, die Funktionsweise des Gedächtnisses nachzuahmen. Und so wechseln sich Zeitebenen und Handlungsorte ab, treten Verstorbene als Erinnerte in der Gegenwart auf. Das ist erst einmal interessant und zeugt von Vertrauen in das Medium, bleibt aber im Ansatz stecken.

Erinnerung als Kategorie braucht entweder distanzierende Vermittlung, oder aber sie schert sich nicht um Darstellungsgewohnheiten und beharrt konsequent auf radikaler Subjektivität. Doch gerade hier bleibt Annas Sommer zu unentschieden. Die Dialoge sind hölzern und kippen immer wieder ins Pathetische. Und Annas jüdische Abstammung, die Ermordung der Großmutter in Auschwitz oder das Kennenlernen ihres Liebsten auf einer 68er-Demo bleiben ohne jegliche Relevanz für die Story oder die Entwicklung der Protagonistin.

Es ist, als vertraute Meerapfel ihrem Drehbuch nicht und müsste dessen Schwächen mit sensationellen Nebenschauplätzen kompensieren. Es ist schon fast ärgerlich, wie Geschichte als schmückendes Beiwerk benutzt wird, um den banalen Rest interessant zu machen. Schade auch, weil Frauenalltag jenseits des Jugendwahns im Kino selten stattfindet. Aber good ol' Anna macht in ihrem Sommer einfach alles ein bisschen zu gut und richtig. Und so wirken die hübschen Postkartenbilder des griechischen Sommers fast wie ein Werbeprospekt für einen Selbsterfahrungskurs „Wechseljahre und Trauerarbeit unter griechischer Sonne“.

Tim Gallwitz

 Zeiten u. Kinos siehe Programm