Gerhard und der Geist

Kostet ja nichts, nett zu sein: Peter Schneider trifft Gerhard Schröder zu einem Gedankenaustausch vor Publikum. Der Kanzler brachte dem Schriftsteller ein Glas Wasser und schmetterte Shakespeare

von DIRK KNIPPHALS

Schau an, es ist doch nicht alles anders geworden, seit dem … Sie wissen schon. Zum Beispiel fällt vielen Menschen, sobald sie ans Theater denken, immer noch Shakespeare ein, „Hamlet“, dritter Akt, erster Aufzug. Außerdem stößt ein öffentliches Treffen zwischen Schriftstellern und Politikern noch auf reges Interesse, zumal dann, wenn zumindest einer der Beteiligten so hohe Prominenzwerte aufweisen kann wie am Mittwoch in Berlin. Jedenfalls intonierte der Politiker Gerhard Schröder, als er die Bühne im Haus der Festspiele betrat, zunächst laustark den Vers „To be or not to be“. Und der Saal war gerammelt voll, was möglicherweise nicht so sehr an Peter Schneider und Hans Christoph Buch lag, die an diesem Abend den literarischen Widerpart unseres Kanzlers gaben.

In kargem Ambiente – drei Sessel vor dem Theatervorhang – gab es also eine Neuauflage des Schauspiels Geist trifft Macht zu sehen; eine Initiative, in die von Regierungsseite zuletzt einiges Engagement investiert wurde.

Ende Januar hatte der Kanzler „’n Dutzend oder zwanzig“ (Schröder) Dichter und Denker in die Sky Lobby seines Amtssitzes eingeladen, darunter so illustre Namen wie Günter Grass, Christa Wolf und Mario Adorf. Und am Mittwoch hört er erst einer Lesung aus Peter Schneiders neuem Buch über Konrad Latte zu, einen jüdischen Musiker, der versteckt in Berlin den Nationalsozialismus überlebte. Dann lässt er sich nach seinen literarischen und sonstigen Interessen befragen.

Was soll man sagen? – Es wurde dann eine beinahe rührende Veranstaltung, in ihrem unvermeidlichen Ablauf – freundliche Kanzlerworte über Schneiders Buch, Namedropping, Reminiszenzen an 68 – nur gestört durch einige aufgeregte Zwischenrufe, die schnell vom übrigen Publikum niedergepfiffen wurden. Die Macht in Personifizierung des Kanzlers nutzte die Chance, sich jovial zu geben, und erzählte die Geschichte, wie der kleine Gerhard, bevor er der große Schröder wurde, sich die „Begegnung mit der Kultur“ als Arbeiterkind erst erarbeiten musste, beginnend übrigens mit den Westernheften von Tom Box und Billy Jenkins. Und der Geist in Gestalt Peter Schneiders wurde sentimental, lenkte den Blick zurück in die Zeit, als man noch Verfassungsfeind sein durfte, und gab als Ziel seiner Tätigkeit an, „Bewusstseine“ zu verändern. Dem konnte Schröder dann natürlich gefahrlos zustimmen; mit Bewusstseinslagen, und wie mit ihnen umzugehen ist, kennt er sich schließlich aus.

Immerhin: Es fielen zitierfähige Anekdoten. Sehr hübsch etwa die, als Schröder meinte, die 68er-Revolution habe er buchstäblich verschlafen, weil er es als junger Student in Göttingen als Privileg empfunden habe, bis um zwölf zu „pennen“. So habe es für ihn nur „für die SPD gereicht“. Na ja, unterhaltsames Talkshow-Niveau. Dass es nicht spannender wurde, lag an der falschen Nähe zwischen Intellektuellen und Machthabern, die die Veranstaltung suggerierte.

Man wusste nicht recht, wer wen stützte – der Kanzler einen Schriftsteller, der veralteten Vorstellungen von schriftstellerischem Engagement und gesellschaftlichem Interesse von Literatur anhängt; oder eben dieser Schriftsteller einen Amtsinhaber, der sich in puncto Kulturbeflissenheit offenbar von niemandem etwas vormachen lassen will. Beim Event in der Sky Lobby trug Schröder Günter Grass ein Glas Rotwein hinterher. Diesmal reichte er Peter Schneider, als der sich räusperte, ein Glas Wasser. So aufmerksam Autoren gegenüber war bislang wohl kein deutscher Kanzler. Kostet in beiden Fällen ja auch nichts, nett zu sein.

Ein Abend der Man-sollte-eben-dann-und-wann-ein-gutes-Buch-zur-Hand-nehmen-Folklore. Ernsthaften Diskurs hatte auch niemand erwartet. Immerhin registrierenswert, dass das Wort Afghanistan erst nach eineinhalb Stunden fiel. Dazu gesagt hat Schröder aber nicht mehr als sonst auch.