Als die Bilder sprechen lernten

■ Hans Weingartners preisgekrönter Schizophrenie-Film „Das weisse Rauschen“ läuft ab heute im Cinema

Studieren in Köln – es könnte so schön sein. Ein WG-Zimmer hat er schon, der 21-jährige Lukas, und nachdem er sich eingeschrieben hat, setzt er sich erstmal feierlich und still in einen leeren Hörsaal. Er wohnt mit seiner Schwester Kati und dem Abhäng-Studenten Jochen zusammen. Alle drei sind aus dem gleichen Provinznest nach Köln gekommen und interessieren sich mehr für das Feiern als für den Putzplan. Die WG-Bong ist wichtig, und Abends bei der Balkonparty arrangiert Lukas sein erstes Date.

Es gibt also einen wunderbaren Freiraum und drei Freunde, die sich darin breit machen – Regisseur Hans Weingartner liefert anfänglich eine kleine Studentenmilieu-Studie mit viel Aufbruchsstimmung. Die Handkamera ist ganz nah dran, als stünde ständig ein vierter Freund daneben, um ein Erinnerungsvideo zu drehen. Es gibt schnelle Schwenks, hastige Schnitte, wenig Dialog und im Gegenzug: viel Realismus.

Lukas' Absturz in die Schizophrenie beginnt dann an der Kinokasse, er will „Taxi Driver“ sehen, hat sich allerdings im Tag geirrt und bekommt einen cholerischen Anfall. Nach einem Drogenexperiment mit Pilzen fängt er an, Stimmen zu hören. Er sucht nach der Quelle, demoliert sein Zimmer, legt sich stundenlang unter die Dusche, versucht die Stimmen per Computer zu analysieren und hat doch keine Chance: Die Halluzinationen wachsen sich zum Verfolgungswahn aus. Lukas springt aus dem Fenster und landet im Krankenhaus.

Regisseur Weingartner widersteht der Versuchung, einen halluzinogenen Bilderrauch zu inszenieren – er setzt das Krankheitsbild „Schizophrenie“ in erster Linie akustisch um. Sein einziges optisches Mittel zur Vermittlung von Lukas' Wahrnehmungsverschiebungen ist, die entsprechenden Bilder grobkörniger zu machen: Der Film wirkt damit umso realistischer, je weiter sich Lukas von der Realität entfernt.

Zudem lässt Weingartner seinem Hauptdarsteller Daniel Brühl viel Raum, die emotionalen Brüche und depressiven Verstimmungen auszuspielen. Wie Brühl vom sympathischen Studenten zum Opfer wird, wie er im Freund plötzlich den Feind sieht und sich von seinen eigenen Wahrnehmungen zu distanzieren versucht, das ist schauspielerisch gelöst und hat große Klasse.

Und ein bisschen Medienkritik ist auch dabei: Lukas nennt seine Krankheit „das weisse Rauschen“, nachdem er stundenlang in einen eingeschalteten Fernseher ohne Programm gestarrt hat. Als Auslöser der Stimmen verdächtigt er die Satellitenschüsseln auf dem Nachbarhaus: Die Medien sind's gewesen. Aber so einfach ist es nicht. Und deshalb wählt Regisseur Weingartner als Erklärungsversuch für die Krankheit eine Metapher: Am Ende sitzt Lukas am Meer, sieht mit der Gischt auch dort das weiße Rauschen und versinkt im Anblick der sich brechenden Wellen. Das menschliche Gehirn – ein Ozean. Und die Normalen sind normal, weil sie sich über Wasser halten, anstatt einzutauchen.

Klaus Irler