zwischen den rillen
: Looppop: Nobukazu Takemura, Boards of Canada

Inseln der Aufmerksamkeit

Die Rückkehr der Geschichte findet am Computer statt. Nirgendwo lassen sich historische Traditionslinien und kompositorische Einflüsse so weit zurückverfolgen wie in der elektronischen Musik; kein Genre bezieht sich so sehr auf seine Verwurzelung in der Moderne, sagt Namen wie Marinetti, Cage oder Stockhausen auf, wenn es die Anfänge von Techno meint. Diese Kontinuität ist verblüffend – bedenkt man, dass die ganze Cut-up-, Copy-, und Paste-Philosophie auf widersprüchlichen Prinzipien beruht: Zufall und Serie, Einmaligkeit und Loop. Jeder noch so seltsame Sound wird erst per Wiederholung zum Track.

Der französische Wissenschaftstheoretiker Michel Serres ist dem Geheimnis hinter der Begeisterung für Sounds und Gadgets erstaunlich nahe gekommen. In seinem Buch „Der Parasit“ vergleicht er die Faszination am Geräusch mit einer Tischgesellschaft, die sich bei hoher Lautstärke unterhält. Niemand versteht mehr, was am anderen Ende der Tafel gesagt wird, bis plötzlich das Telefon klingelt. Für einen Moment verstummt der Redefluss, weil alle gespannt darauf achten, wer zum Hörer greift und was die Person ihrem unsichtbaren Gegenüber wohl zu sagen hat: Man horcht auf. Doch binnen Sekunden wird das Telefonat zu einer Störung mehr im All-over der Gespräche. Serres folgert aus dieser Anordnung, dass sich beide Geräuschpegel zueinander wie komplexe Systemerweiterungen verhalten: „Der Lärm ist das Ende des einen Systems und die Formierung eines neuen.“ Was aber sind die Noise-Schleifen von Aphex Twin oder Ovals minimalistisches Knistern anderes als eine solche Allegorie auf das alltägliche Rauschen der Geräusche?

Natürlich kann man das alles verfeinern, bis Pop herauskommt. Dem japanischen Programmierkünstler Nobukazu Takemura ist es mit „Sign“ gelungen, aus Laptop-Bleeps und dem Rattern, das beim schnellen Vorlauf von CDs entsteht, angenehm schwingende Harmonien zu erzeugen. Erst hat er damit den Computerhund von Sony gefüttert, der nun nach seinen Vorgaben elektronisch bellt. Inzwischen funktioniert das Patchwork auch in der Disco: Von Vocoder-Stimmen angetrieben erinnert der Titelsong sogar an die frühen Synthie-Wave-Produktionen des Yello Magic Orchestra. Die Vorliebe für die Eighties hält aber nur kurz an, dann setzt Takemura die stileübergreifende Ornamentik mit Muzak-Elementen und atonalen Pattern fort.

Auch an Jazz und Post-Rock wird nicht gespart, für das halbstündige „Souvenir in Chicago“ hat er sich Musiker von Tortoise und Isotope 217 geholt, die dezent frickeln, während er mit der Mouse durch die Sound-Files fährt, als wäre eine Katze über Klaviertasten gehuscht. Sicher kommt ihm bei seinem Freistil in Sachen Techno zugute, dass er vor zehn Jahren ein gefragter DJ in Kioto war. Trotzdem ist „Sign“ nicht die übliche Lounge-Tapete aus Samples und Happy Tunes, mit der Nachtbars überall ihre Kundschaft beschallen. Kein Ambient, keine Psychedelic-Atmo: Takemura nimmt die sich ständig wandelnden Details, um kleine Aufmerksamkeitsinseln für den Hörer zu setzen. Das System ist alles, was das Geräusch hergibt, die Struktur stellt sich dann von selbst ein.

Auf einem ähnlichen Terrain am großen Fluss des Rauschens bewegen sich Boards of Canada. Dabei sind ihre 23 Patchwork-Miniaturen tief in den 70er-Jahren geerdet – du kannst Hippiekram dazu sagen. Das Duo lebt zurückgezogen im schottischen Hochland, dreht Super-8-Filme, die auf Festivals als Begleit-Happening zur Musik projiziert werden, und hat auch sonst einiges mit meditativen Sit-ins gemeinsam. Partytauglich ist „geogaddi“ jedenfalls nicht, höchstens bei Gruppenreisen ins innere Ich.

Die Ruhe hat dennoch ihre Tücken. Allzu leicht wird man aus dem Schlummer gerissen, wenn auf einmal aus der Ferne einer monoton fräsenden Moogspur Schulkinder zurückkichern oder Leslie Nielsen als Sprecher einer TV-Dokumentation etwas über Lavaströme und Löwenzahn erzählt. Die Irritation scheint derselben Logik zu folgen wie das Telefonbeispiel bei Serres: Erst in der Unterbrechung wird einem bewusst, wie sehr man von Lärm umgeben ist. Boards of Canada beherrschen dieses Gefühl für den Augenblick perfekt, sie können mitten im Song das Tempo herunterschrauben oder an der Tonart pitchen. Stets ist ihnen der Effekt gewiss, der sich auch einstellt, wenn man nach dem Schlaf noch die letzten Traumbilder im Kopf gespeichert hat: Sie bleiben den ganzen Morgen anwesend, drehen sich im Kreis, und bestimmen das Denken über Stunden. Die Einmaligkeit des im Traum erdachten drückt auf den Alltag, seine Ausnahmeerscheinung wird zum Loop. HARALD FRICKE

Nobukazu Takemura: „Sign“ (Thrill Jockey/EFA)Boards of Canada: „geogaddi“ (Warp/Zomba)