Das Gesetz der anderen

„Kranke Hirne“: Der neue Jerry Cotton ist reaktionärer, böswillig vereinfachter Agitprop gegen die Gothic-, Dark-Wave- und Black-Metal-Szene

„Das Blatt, das ich in Händen hielt, war voller germanischer Runen. Auch das Hakenkreuz fand ich. In einem anderen blieb mein Blick an einem düsteren Foto hängen. Nackte Männer und Frauen schlachteten einen Ziegenbock. Es sah irgendwie nicht nach einer Grillparty aus.“ Jerry Cotton und sein Partner Phil Decker ermitteln diesmal in der Gothic-, Dark-Wave- und Black-Metal-Szene.

Von Anfang an lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie in einen richtigen „Scheißhaufen“ getreten sind. Und damit ist nicht nur The Duke of Hellfire gemeint, die Band um den luziferischen Frontman Alister Raven, der mit seiner Höllenhorde einen Journalisten bei lebendigem Leibe verbrennen lässt. Die Begründung: Er war ihrer verbrecherischen Freimaurerei, ihrem konspirativen Kampf gegen die Kirche, gegen Schwarze und Schwule, gegen die „freiheitliche Gesellschaftsordnung“, mithin gegen alles, was der bürgerlichen Gesellschaft heilig ist, auf die Schliche gekommen. Nein, sie schmeißen alle in einen Sack und möchte am liebsten einen großen Knüppel nehmen, weil für Differenzierungen in der Kolportage eben kein Platz ist.

Und erst ganz zum Schluss, nachdem der Ghostwriter über 200 Seiten lang Stimmung gemacht hat gegen diese Musik mit ihren „Liebeserklärungen an Gewalt und Rassismus“, gegen die „Machwerke aus dem okkulten und rechtsradikalen Milieu“ und die „kranken Hirne“, die sie erdenken, folgt doch noch so etwas wie ein Unterscheidungsversuch. Und zwar im Plädoyer des Staatsanwalts Dr. Harper, der dafür sorgt, dass Raven zu 250 (!) Jahren Haft verurteilt wird: „Es geht hier nicht darum, eine Musikrichtung und ihre Anhänger pauschal zu verurteilen, Ladies and Gentlemen. Viele dieser Black-Metal-Musiker und viele ihrer Fans betrachten Dämonen, Hölle und Teufel und all ihre obskuren Symbole als faszinierendes Geheimnis, und es ist so eine Art Spaß für sie, sich damit zu beschäftigen. Eine fragwürdige Faszination, Ladies and Gentlemen, ein fragwürdiger Spaß. Aber darüber hat dieses Gericht kein Urteil zu fällen.“

Eben! Und immerhin! Denn hier wird zwar nichts zurückgenommen von der zuvor gut fest geklopften Suggestion, Rechtsradikalismus resp. Nazismus und Black Metal seien sozusagen Synonyme, was so ja nichts weiter ist als eine böswillige Vereinfachung und letztlich Denunziation; aber immerhin erkennt Dr. Harper beinahe schon gegen den Willen seines Autors, dass man auch spielen kann mit den Symbolen des Satanismus, dass man sie eben auch wegen ihres konnotativen Zeichenwerts, ihrer Suggestivkraft, ihrer Coolness aufruft, dass man also gewissermaßen einen ästhetischen Umgang mit ihnen pflegt. Und in der Tat, darum geht es – oder kann es doch zumindest auch gehen! Um artifizielle Camouflage, um provokativen Mummenschanz, allein zum Zwecke der Distinktion! Das ist trivial, aber Cotton und Decker ahnen nicht einmal etwas davon.

Und das hat auch seinen Grund. Denn augenscheinlich soll diese Szene diskreditiert werden und der politische Liberalismus, der so einen stinkenden Sumpf nicht sofort trockenlegt, gleich mit. Kurzum, hier haben wir Agitprop von der reaktionären Sorte, und man ahnt längst, dass der durchschnittliche Jerry-Cotton-Leser mindestens CDU wählt. Hübsch anspielungsreich attackiert unser schriftstellernder Dunkelmann denn auch gleich noch die antiautoritäre Tradition, wenn er auf dem Eingang zum Allerheiligsten des Dukes die Maxime „Tu, was du willst – das sei das ganze Gesetz!“ pinselt und also Rabelais’ „Gargantua und Pantagruel“ zitiert, jenes „Fay ce que vouldras“, das einzige Gesetz in der Abtei Thélèm, dem Anarcho-Arkadien schlechthin.

Und ganz folgerichtig steht bzw. fällt die Moral in diesem Buch mit der Konstitution der bürgerlichen Familie. Ein toleranter, allein erziehender Vater, der auch noch gelegentlich kifft und sich sexuelle Freizügigkeit leistet, liefert notwendig das Gefälle, das die beiden minderjährigen Protagonisten, seine Tochter Mary und deren Freundin Vivian, in die kriminelle Szene abrutschen lässt. Vivian hingegen lebt zwar in Verhältnissen, die manche geordnet nennen, hat einen Streber-Bruder, eine sorgende Mutter, aber auch hier ist der Vater das Problem. Als Chef eines Autohauses – ein Autoverkäufer also, das Spießerstereotyp! – hat er viel zu wenig Zeit, sich um die Sorgen seiner heranwachsenden Tochter zu kümmern. Die Mutter versucht sicher ihr Bestes, aber ein Vater ist nun mal ein Vater!

Wenn Ernst Bloch Recht hat und sich in der Kolportage allemal deutlicher kurrente utopische Vorstellungen offenbaren, dann kann es einem hier durchaus kalt den Rücken hinunterlaufen! FRANK SCHÄFER

Jerry Cotton: „Black Metal – Sound des Todes“. Bastei-Lübbe 2001, 221 Seiten, 3,95 €