Vom 11. September zum 30. März

Neue Strategie von Neonazis: Trauermarsch am Sonnabend wegen der Bombardierung Lübecks vor 60 Jahren  ■ Von Peter Müller und Andreas Speit

Der Anschlag auf das World Trade Center in Manhattan, Aktionen gegen die Ansiedlung des Pädophilenvereins „Krumme 13“ in Hamburg, die Ansiedlung von Bauwagenplätzen in Hamburg, die Räumung der Roten Flora oder der Aufbau der Schill-Cop-Bürgerwehr: Militante Neonazis im Norden nutzen immer häufiger aktuelle Themen, um populistisch Gefolgschaft hinter sich zu scharen.

So wollen Neonazis am Ostersamstag mit einem als „Trauermarsch“ deklarierten Aufmarsch die Bombardierung Lübecks am 30. März 1942 zum Anlass nehmen, während der städtischen Gedenkfeiern ihre Propaganda in der Hansestadt zu verbreiten.

„Wir gehen davon aus, das mit mehreren Hundert Nazis aus Deutschland zu rechnen ist“, so das „Lübecker Bündnis gegen Rechts“. Daher läuft in vielen Städten im Norden bereits die Mobilisierung für Gegenaktionen unter dem Motto: „Den Heuchlern Beine machen“. Offensichtlich geht der rechte Clan um die Hamburger Neonazi-Strategen Christian Worch und Thomas Wulff neue Wege. Stand in den vergangenen Jahren bei den Faschos im Vordergrund, das Ansehen von Wehrmacht und Waffen-SS zu verteidigen sowie Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zu heroisieren, nehmen sie sich nun verstärkt Themen an, die den Nerv der Bevölkerung treffen sollen.

So gab es für das Bombardement Lübecks vor 60 Jahren in der Tat keine militärisch-strategischen Gründe; es war der Beginn der alliierten Strategie, durch Bomben die Akzeptanz für das NS-Regime in der Zivilbevölkerung zu erschüttern. Trotz großer Verluste in der Bevölkerung und der Zerstörung deutscher Städte bewirkten die Angriffe aber das Gegenteil.

Die Lübecker Worch- und Wulf-Vasallen und Organisatoren des „Trauermarsches“, Dieter Kern und Jürgen Gerg, ziehen auch unmittelbare Vergleiche zum Anschlag am 11. September. Gerg für die NDP Schleswig-Holstein und Kern für das „Bündnis Rechts Lübeck“ bekundeten klammheimliche Freude: Endlich würden auch mal die USA auf dem eigenen Territorium die Auswirkungen eines Krieges zu spüren bekommen, wie damals das „deutsche Volk“.

Dafür sollte Kern, Mitarbeiter des städtischen Umweltamtes, entlassen werden. Die Stadt sah darin eine Missachtung der Menschenwürde und eine Billigung der Anschläge. Doch mehrere Kündi-gungsversuche scheiterten vor dem Lübecker Arbeitsgericht: „Die Meinungsfreiheit schützt auch abseitige Meinungen“, erklärte Richter Christian Scholz. Bei der Erklärung würde es sich um einen „Grenzfall“ handeln. Die Entscheidung des Gerichts entmutigt Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) aber nicht: „Wir werden die nächsthöhere Instanz anrufen.“ Beim Kieler Landesarbeitsgericht liegt der Fall jedoch noch nicht vor. „Beide Parteien haben ihre Erklärungsfrist noch nicht ausgeschöpft“, so eine Gerichtssprecherin.

Nach dem Lübecker Urteil durfte Kern aber nicht in sein Büro zurückkehren. Denn seinem Antrag auf Weiterbeschäftigung gab das Gericht nicht statt, weil die Stadt Ende Januar eine zusätzliche Kündigung ausgesprochen hat, die auf einem Urteil des Landgerichts Lübeck basiert. Dieses hatte Kern im Januar wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. Im Propagandaheft „Lübscher Aufklärer“ hatte Kern eine Anzeige für T-Shirts mit einem SS-Totenkopf ähnlichen Emblem veröffentlicht.

Demo gegen Naziaufmarsch: Samstag, 30 März, ab 10.00 Uhr am Stadion Lohmühle in Lübeck, Treffpunkt in Hamburg: 8 Uhr, Schanzenbahnhof.