Von der Stasi gebügelte Post

Die Ausstellung „Ein offenes Geheimnis“ im Museum für Kommunikation dokumentiert umfassend die Post- und Telefonkontrolle in der DDR. Täglich wurden rund 150.000 Sendungen geöffnet

von MARCO FAJARDO

Außerhalb des gelben Containers wird eine heile Welt inszeniert. Auf einem Bildschirm tanzt ein Clown neben einem Briefkasten und wirft einen Umschlag ein. Dabei trällert er lustig vor sich hin „Unserer Post kann man vertrauen.“ Wer’s glaubt, wird selig. Betritt man den Container, wird schnell klar, dass der Clown einzig und allein die Aufgabe hat, die Zuschauer von der Zuverlässigkeit der Post zu überzeugen. Dabei war die Post in der DDR ein offenes Geheimnis.

Unter diesem Titel wurde am Wochenende im Museum für Kommunikation die erste umfassende Ausstellung über die Post- und Telefonkontrolle in der DDR eröffnet. Zwei Jahre lang haben Mitarbeiter des Museums, der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU) und des „Bürger Komitees Leipzig e.V.“ zu geöffneten Briefen, belauschten Telefonaten und aufgerissenen Paketen recherchiert. Zusätzliche Arbeit bereitete den Ausstellungsmachern eine aktuelle Gerichtsentscheidung: Nach dem Urteil über die Stasiakten von Exkanzler Kohl wurden die Namen auf einigen Dokumenten sicherheitshalber geschwärzt.

Die Ausstellung wurde in einem Container konzipiert. „Das Gefühl allgegenwärtiger Kontrolle wird dadurch erfahrbar“, sagt Projektleiterin Sylvia de Pasquale. Eine Reihe von Schwarzweißfotos zeigt Stasimitarbeiter bei ihrer täglichen Arbeit: wie mit einer Wasserdampfmaschine Briefe geöffnet, wie diese später mit einem Bügeleisen wieder halbwegs in Ordnung gebracht oder wie Telefongespräche abgehört werden. In einer Vitrine steht ein Sack voller Mikrofilme, denn jeder der geöffneten Briefe wurde fotografiert. In einer anderen Vitrine liegen Dutzende von gefälschten Poststempeln von Paris, New York oder Moskau. Ausgestellt sind auch Uniformen, mit denen sich Stasimitarbeiter als Postangestellte tarnten. Stasichef Erich Mielke hatte seine ganz eigene Lesart des Artikel 31 der Verfassung der DDR, der das Post- und Fernmeldegeheimnis als „unverletzlich“ beschrieb. Sein Motto war: „Wir müssen als MfS über alles Bescheid wissen.“

Zu sehen sind auch Briefe und Postkarten, die nicht weitergeleitet wurden: Karten mit der Mauer und Sprüchen wie „Macht’s wie die Tauben: Scheißt auf diese Mauer“ oder mit „tollen“ Grüßen aus dem Westen von DDR-Bürgern, die im Sommer 1989 über Ungarn nach Österreich flüchteten und aus Wien schrieben. Gründlich wie die Genossen waren, durchsuchten sie selbst Zahnpastatuben aus Westpaketen auf ihren Inhalt.

Joachim Stange ist einer von vier Betroffenen, deren Fälle die Ausstellung detailliert dokumentiert. Der jetzt 52-Jährige gelernte Offsetretuscheur betätigte sich in den 80er-Jahren in Dresden als „Mail-artist“. Dabei haben Künstler Postkarten mit persönlichen Botschaften, frechen Sprüchen oder subjektiven Kommentaren gestaltet. Zwischen 1981 und 1989 schickte Stange Karten und Briefe sowohl nach Osteuropa als auch in den Westen. Doch kaum etwas erreichte den Adressaten. „Natürlich hat man gemerkt, dass man kontrolliert wurde. Die Post war aufgeweicht und zugeklebt. Man hat sich auch von anderen Adressen aus und unter anderen Namen selbst Post geschickt, um zu sehen, ob sie ankommt, und viel verschwand“, sagt Stange heute. Und die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, ergänzt: „Die Stasi ist bedenkenlos in den Alltag der Menschen eingedrungen.“

Täglich öffneten 2.019 Mitarbeiter der Abteilung M der Staatssicherheit etwa 60.000 Pakete und 90.000 Briefe. Darunter Schreiben an Parteien oder Ministerien im Westen oder Briefe von Personen im Osten, die die Stasi überwachte. Für Einschreiben aus dem Westen interessierte sich die Stasi ganz besonders. Sie enthielten oft Geld. Allein zwischen 1984 und 1989 beschlagnahmten die Genossen 32 Millonen Westmark. Trotzdem wurde manches durchgelassen, damit die Westdeutschen weiterhin ihren Verwandten Geld schickten.

„Ein offenes Geheimnis“ ist im Museum für Kommunikation bis 1. September zu sehen. Eintritt frei. Öffnungszeiten: dienstags–freitags 9–17 Uhr, samstags, sonn- und feiertags 11–19 Uhr, Leipziger Straße 16, Katalog 17,80 €