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: Wie die Innsbrucker früher einmal Napoleon narrten und heute ahnungslose Deutsche hereinlegen

Warnung vor der Garçonnière

Tirol bezeichnet sich selbst als aufstrebenden High-Tech-Standort. Was das Geschäft des Verkaufs via Telekommunikationsmedien betrifft, ist das unbedingt richtig. Nehmen wir die Garçonnière. Der interessierte Wohnungssuchende findet im Internet unter der Rubrik „Garçonnière“ lauter wunderbare Beschreibungen. Komfortabel und praktisch sei sie, die Garçonnière, großzügig und hell, ruhig und verkehrsgünstig, komplett möbliert und günstig. Der Kunde aus Deutschland, der den Sommer in Innsbruck wohnen will, freundet sich mit einem Exemplar an, das sich in einem Altbau in einer malerischen Gasse mit Blick auf die Altstadt befinden, 25 qm groß und für nur 220 € warm zu haben sein soll. Ein Telefonat bestätigte alles und noch mehr, TV-Empfang etwa, Festnetzanschluss möglich, heller, großzügiger Arbeitsplatz. Ein Vertrag wurde zugesendet, unterschrieben und zurückgeschickt.

Angekommen in Tirol, erwies sich jedes Versprechen als wahr: Das ganze Zimmer ist hell – wenn man zwei Halogenlampen anmacht; das Zimmer kostet 200 € warm – wenn einem 16 Grad ausreichen, sonst muss mit einem Elektroofen, der extra abgerechnet wird, zugeheizt werden; das Zimmer hat ein Telefon – wenn man einen Anschluss legen lässt; das Zimmer hat 25 qm – wenn man das einige Meter entfernte Bad hinzuzählt; das Zimmer hat TV-Empfang – doch nur von zwei Programmen: ORF 1 & 2, der Albtraum eines „dualen“ Systems. Die vergitterten Fenster in Bodenhöhe weisen gen Norden, auf den Parkplatz des Hauses hinaus. Orange Plastikgardinen ersetzen die Sonne, die hier nie hineinscheinen wird. Möbliert ist die Kellerwohnung reichlich, mit mehr alten Stühlen und Sofas, Regalen und „Kasterln“, als man braucht. Was der Tiroler nicht mehr braucht, stellt er in seinen Keller und nennt ihn Garçonnière.

Dass der Österreicher an sich und naturgemäß der Tiroler seine Keller- und Abstellkammern Garçonnière nennt, ist nicht nur ein euphemistischer Marketingtrick, sondern zugleich der Versuch, die Verantwortung für diesen Schwindel der Grande Nation anzuhängen, die für ihre Neigung, jeden Mist großartig zu benennen, ja bekannt ist. Aber für die Garçonnière kann der Franzose nichts. Tatsächlich wurde er schon vor 200 Jahren selber Opfer. Nachdem Bonaparte alle österreichischen Armeen geschlagen hatte und der Weg nach Wien frei war, machte seine unbesiegbare italienische Armee Quartier. Der Tiroler versprach den Franzosen natürlich das Blaue vom Himmel herunter. Mit einem Male aber fanden sich die Gardisten über das ganze Tal verstreut und um alle Versprechen betrogen in zellenartigen Zimmern wieder, wo sie jämmerlich nach dem „garçon“ riefen, der ihnen Champagner und Austern bringen sollte, aber naturgemäß gab es nur Dünnbier und Mehlspeis. Die Armee zog sich ohne weitere Feindberührung zurück, um in der schönen Toskana weiterzukämpfen. Wien war gerettet. Zur Erinnerung an dieses ruhmloseste Ereignis der französischen Armee nennen die Innsbrucker ihre Kämmerchen noch heute Garçonnière, stellen ihren Sperrmüll hinein und vermieten sie teuer an Ausländer.

NIELS WERBER