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: Pollenflug, Etagenwechsel, Pestwurz

Der Heuschnupfen

Neue Energie, mehr Lust auf Sex, bessere Laune – für viele Menschen bewirkt der Frühling wahre Wunder. Für bis zu zwölf Millionen Menschen in Deutschland allerdings beginnt gerade jetzt eine lange Leidenszeit, die sich bis in den Herbst erstrecken kann: Ihre Augen triefen und sind gerötet, ihre Nasen laufen ständig, und sie werden von dauernden Nießattacken geplagt. Kurzum: Sie haben eine allergische Rhinokonjunktivitis, landläufig auch Heuschnupfen genannt.

Bei dieser allergischen Erkrankung reagiert der Körper überempfindlich auf die Pollen der Blüten von Bäumen, Gräsern und Kräutern – im Frühjahr sind es beispielsweise die Pollen von Birken oder Erlen, im Sommer die von Gräsern und Getreide, im Herbst eher Kräuterpollen. Die Pollen wirken als Fremdstoffe, als so genannte Inhalationsantigene, die bei den Betroffenen eine überschießende Immunreaktion auslösen. Sie produzieren in großen Mengen spezifische IgE-Antikörper. Diese Immunglobuline lagern sich im Blut an weiße Blutkörperchen an, an Mastzellen und eosinophile sowie basophile Granulozyten und reagieren dann bei erneutem Pollenkontakt, wobei es zur Zerstörung der Zellen kommt. Dabei werden Botenstoffe frei wie Histamin, Interleukin 5, Serotonin oder Bradykinin, die die klinische Symptomatik verursachen. So bewirkt Histamin eine Erweiterung der Blutgefäße (gerötete Augen), reizt sensible Nerven (Juck- und Nießreiz) und sorgt für eine verstärkte Flüssigkeitsproduktion (laufende Nase, tränende Augen).

Die Zahl der Heuschnupfen-Erkrankungen ist steigend, vor allem auch bei Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren. Ein Grund könnte der Rückgang typischer Kinderkrankheiten wie Masern, Windpocken oder Scharlach sein, die das Immunsystem schon im vorpubertären Alter stärken sollen. So waren in der DDR Allergien weniger häufig als in Westdeutschland, da hier, anders als in Westdeutschland, über 90 Prozent der Kinder in Krippen schon früh mit ansteckenden Krankheiten konfrontiert wurden. Auch Kinder von Landwirten, die schon früh in Kontakt mit Nutztieren kommen, sollen weniger anfällig für Allergien sein. Sicher ist, dass allergische Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma bronchiale und die Neurodermitis familiär gehäuft vorkommen und gekennzeichnet sind durch eine autosomal-dominant vererbte Anlage zur überschießenden Bildung von IgE-Antikörpern. Leiden beide Eltern an einer Allergie, findet sich bei fast der Hälfte ihrer Kinder ebenfalls eine Erkrankung (bei einem kranken Elternteil halbiert sich die Zahl).

Doch es bleibt nicht nur beim Heuschnupfen. Oft gibt es Kreuzallergien in Form zusätzlicher Unverträglichkeiten nach dem Verzehr von Äpfeln, Nüssen, Karotten oder Kiwis oder Überempfindlichkeiten auf Katzenhaare, Milben oder Hausstaub. Schlimmer ist, dass es bei schätzungsweise 25 Prozent der Heuschnupfenerkrankten nach zehn Jahren zu einem so genannten Etagenwechsel kommt und sich ein allergisches Bronchialasthma entwickelt. Oben beschriebene Botenstoffe verursachen dann eine Kontraktion der Bronchialmuskulatur, Ödeme der Atemschleimhaut und die vermehrte Sekretion eines zähen Schleims, was zu einer Verengung der Bronchien führt, einer endobrachialen Obstruktion.

Die Diagnose eines Heuschnupfens ergibt sich aus zeitlichem Auftreten, Dauer und Intensität der Symptome. Zum anderen durch den Prick-Test, bei dem die in Frage kommenden Allergene auf die Haut geritzt und die Unverträglichkeiten genauer bestimmt werden.

Therapeutisch gibt es mehrere Möglichkeiten. Am schonendsten, aber praktisch nicht so leicht durchzuführen: die Allergenvermeidung. Keine langen Aufenthalte im Freien. Schlafen bei geschlossenen Fenstern, tägliches Waschen der Haare. Aufenthalte im Gebirge oder an der See empfehlen sich, da hier die Pollenbelastung gering ist.

Dann gibt es natürlich Medikamente. Etwa die Antihistaminika, die dieselben Rezeptoren wie Histamin besetzen. Mastzellstabilisatoren wie die Cromoglycinsäure, die die Histaminausschüttung einschränken und vorbeugend eingenommen werden. Dazu Kortikoide, die lokal zum Einsatz kommen, Leukotrienantagonisten und bald auch Anti-IgE-Antikörper. Fast obligat: Nebenwirkungen wie Müdigkeit (Cromoglycinsäure, Antihistaminika) oder Herzrhythmusstörungen (Antihistaminika).

Aufhorchen lassen deswegen immer wieder Studien, nach denen homöopathische Mittel wie ein Extrakt der Pestwurz-Pflanze oder das Strauchgewächs Galphimia glauca Behandlungserfolge zeitigen. Auch andere naturheilkundliche Verfahren wie die Akupunktur, die Bachblütentherapie, die Harntherapie oder die Bioresonanzmethode stehen zur Verfügung.

Eine dritte Säule der schulmedizinischen Behandlung ist die systemische Immuntherapie, die so genannte Hyposensibilisierung, bei der in den Wintermonaten die Allergene in steigender Konzentration unter die Haut gespritzt werden. Dadurch soll sich das Immunsystem an die Blütenpollen über Jahre hinweg gewöhnen. Sicher jedoch ist nur eins: Die eine absolut erfolgreiche und zielgenaue Therapie von Heuschnupfen gibt es nicht. GERRIT BARTELS

(wird fortgesetzt)