Zwischen den Rillen
: Postsäkularer Pop: Xavier Naidoo und Gentleman

Alle Wege führen zu Gott

Xavier Naidoo hat keine Platte gemacht, er hat ein Werk gemeißelt, gleich auf zwei CDs. Solch ein Brocken will erst mal verdaut werden. Doch einigen schlägt Naidoo offenbar auf den Magen. Von Christengedöns bis barem Unsinn gehen die Vorwürfe, von Viva bis zum WOM-Journal macht man sich lustig über ihn, als solle mit aller Macht manch juvenile Kirchentagsvergangenheit exkommuniziert werden. Zwar schoss Xavier Naidoos neues Album aus dem Stand an die Spitze der Charts, und seine aktuelle Tour ist ausverkauft. Nur kein Musikkritiker, so scheint es, mag sich zum guten Menschen von Mannheim bekennen.

Dabei war schon auf Naidoos Debütalbum „Nicht von dieser Welt“ der Glaube bereits unüberhörbar, aber er wurde damals nur als Nebengeräusch wahrgenommen. Inzwischen hat Naidoo jedoch seine Heimatstadt zum Ersatz-Jerusalem erklärt und das Ozonloch zur Abzugshaube für Umweltgifte. Nun reagiert die breite Öffentlichkeit auf den christlichen Bekenntniszwang peinlich berührt, ohne sich klar zu machen, dass mindestens jeder zweite R & B- oder Soul-Hit, den sie eifrig mitträllert, von den US-amerikanischen Originalen eine Auseinandersetzung mit dem Allmächtigen ist.

In seinem eigenen Opus Magnum versucht Naidoo nun exakt diesen klassischen Zwiespalt, an dem sich ganze Soul-Generationen von Marvin Gaye bis R. Kelly abgearbeitet haben, auf ein Neues auszuhalten. „Alles für den Herrn“ sorgt sich ums Seelenheil seines Protagonisten, auf „Zwischenspiel“ soll ausschließlich Weltliches behandelt werden. Fein säuberlich getrennt besingt Naidoo den Disput zwischen Religiosität und der Unmöglichkeit gottesfürchtig zu leben. Und aus der Verzweiflung, die daraus zwangsläufig entstehen muss, erwächst Wahrhaftigkeit, entsteht schlussendlich Soul. So erst ist Naidoo in der Lage, mit seiner Stimme noch den schlichtesten Wohnraum in eine Halle des Herrn zu verwandeln.

Zwar bekennt sich Naidoo zu keiner bestimmten Konfession. Doch mit missionarischem Eifer beschwört er einen rächenden Gott, der Bäume knickt, die Welt in Brand steckt und Königreiche zerstört. So alttestamentarisch das Vokabular, so archaisch das Gottesbild, so einfältig ist oft die Wortwahl. Da reimt sich „Ortszeit“ auf „Mordsleid“ und der Titelsong macht jedem Schüttelvers Konkurrenz: „Ich tu alles für den Herrn / Ja, das tu ich gern / Alles für den Herrn / Der Rest liegt mir fern.“

So droht Naidoo höchstselbst sein gottgefälliges Anliegen in Beliebigkeit zu versenken. Hier fehlt ihm die ordnende Hand des alten Mentors Moses Pelham, dessen Label 3p Naidoo im Streit verlassen hat. Dank der allseits wohl temperierten Hochglanzbegleitung wirkt „Zwischenspiel/Alles für den Herrn“ vornehmlich wie ein Magnificat mit Kuschelpoppotenzial. In den besten Momenten aber werden peinsamer Duktus und belanglose Arrangements hinweggefegt von der schieren Kraft von Naidoos Stimme. Dann gelingt der Versuch, Pop-Appeal für den Missionsdienst zu benutzen. Früher einmal hieß das Agitprop und kam von linker Seite. Heute dagegen tummeln sich statt dessen christliche Crossoverbands in den Charts.

Auch „Journey to Jah“, das neue Album des Kölner Reggae-Sängers Gentleman, propagiert schon im Titel den Weg in die Religiosität. Für Gentleman steht Jah, der Gott der Rastafaris, ganz allgemein für ein höheres Prinzip, sei es Naturgesetz, philosophischer Entwurf oder Gott. Er interpretiert Jah als Synonym für Reggae, und wenn er sich auf die Reise zu Jah begibt, nähert er sich zuerst an das musikalische Genre an.

Aufgenommen wurde hauptsächlich in Jamaika, engagiert wurden dort Spitzenkräfte wie die Sänger Capleton und Bounty Killer oder die Produzenten Bobby Digital und Black Scorpio. Entstanden ist so eine Platte, die internationalen Ansprüchen genügt, dabei aber im Gegensatz zum eher elektronischen, Dancehall-lastigen Debut „Trodin’ On“, mehr Wert legt auf den warmen, harmonischen Klang traditionellerer Reggae-Entwürfe.

Jan Delay und Seeed haben im vergangenen Sommer bewiesen, dass Reggae selbst mit deutschen Texten und Inhalten funktioniert. Seeed arbeiten bereits an einem weiteren Album. Jan Delay alias Eißfeldt von den Absoluten Beginnern, der schon auf seiner ersten Solo-Platte mit Naidoo zu Ehren des „Flashgotts“ duettierte, soll, so wird kolportiert, momentan eine „Bekenntnisplatte“ fertigen. Und als wäre das noch nicht genug, wird Delay, heißt es, auch noch mit Blumfeld im Auftrag des Herrn kooperieren. Junge Menschen, so scheint es, wollen mit aller Macht wieder glauben. THOMAS WINKLER

Xavier Naidoo: „Zwischenspiel/Alles für den Herrn“ (SPV) Gentleman: „Journey to Jah“ (Four Music)