Steine, Eis und Zweige: Kunst

■ Neu im Kino: „Rivers and Tides“ von Thomas Riedelheimer

Da stehen eiförmige Kegel in der Landschaft. Meist aus Felsbrocken, einmal aus Eisschollen hochgeschichtet. Etwa anderthalb Meter groß stehen sie in an einem Berghang, am Strand, auf einem Feld, in einer Eiswüste. Die Natur wird dafür sorgen, dass sie nicht lange so stehen werden, und sehen wird sie direkt auch kaum jemand, so abseits vom Wege sind diese Skulpturen ausgestellt.

Andy Goldsworthy macht seine „land art“ auf dem Lande, und dass sie vergänglich ist, bald von der Flut überschwemmt, dem Wind verweht oder der Sonne zerschmolzen wird, das gehört dazu. Seine Fotos von diesen vergänglichen Werken sind die eigentlichen Kunstobjekte, die er entweder als Unikate verkauft oder in Bildbänden publiziert. Und ein Film ist natürlich noch idealer geeignet, diese „Arbeiten mit der Zeit“ (so der Untertitel) zu dokumentieren und spürbar zu machen.

Der Film zeigt auch, wie die Werke entstehen, wie Goldsworthy Felsbrocken aufschichtet, eine Art Iglo aus Treibholz baut oder aus Schnee auf Eis eine mäandernde Schlange malten. Wie ein Handwerker müht er sich dabei redlich, und manchmal scheitert er auch. Das gibt dann für den Film die besten Aufnahmen, etwa wenn eine Steinskulptur unter seinen Händen zusammenbricht, oder wenn ein scheinbar schwerelos in der Luft schwebendes Geflecht aus Zweigen kurz vor der Fertigstellung wegknickt. So ist der Film auch eine Illustration von Karl Valentins klugem Satz, „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“

Denn schön sind diese seltsamen Objekte alle: Einerseits fügen sie sich harmonisch in die Landschaften ein (das Kamerateam begleitete Goldsworthy bei Arbeiten in Neufundland, in Südfrankreich, in den USA und in seiner Heimat Schottland), andererseits sind sie eindeutig von Menschenhand. Manchmal wirken sie surreal, wie etwa eine Schlange aus Eis, die durch einen Felsen gewachsen zu sein scheint. Goldsworthy arbeitet immer sanft und mit Demut in der Natur und nutzt fast auschließlich die jeweils in der Landschaft gefundenen Materialien. Blumen, Zweige und Laub fügt er mit Dornen zu fast lebendig wirkenden Objekten wie Schlangen oder Windspielen zusammen, und wenn man ihn einmal dabei erwischt, wie er Flachs mit einem Taschenmesser schneidet, entschuldigt er sich fast für diesen Stilbruch.

Goldsworthy arbeitet an der Schwelle zwischen Kunst und Natur mit außergewöhnlichem ästhetischen Feinsinn und soviel Fantasie, dass einem die 90 Minuten des Films nie lang werden, obwohl Regisseur Thomas Riedelsheimer auf alle dramaturgischen Tricks verzichtet. Auch als Kameramann brauchte er eigentlich immer nur draufzuhalten (für die Komposition der Einstellungen und das Licht war ja jeweils Goldsworthy verantwortlich) und trotzdem hat Riedelsheimer für „Rivers and Tides“ zu Recht den Deutschen Kamerapreis gewonnen. Soviele ausgesucht schöne Bilder findet man selten in einem Kinofilm und sogar Sonnenuntergänge oder Regenbögen sind nicht kitschig. Die kongeniale, organisch in der Improvisation gewachsene Musik von Fred Frith verstärkt noch die rauschhafte Wirkung der Bilder. Nur die Kommentare von Goldsworthy klingen ein wenig zu schulmeisterlich. Wenn er etwa sagt, er wolle, „hinter der Wolligkeit das Wesen des Schafs erkennen“, ist das schon fast unfreiwillig komisch. Die Werke wirken für sich viel tiefer als alle Erklärungen, und Goldsworthy wächst einem durch seine Ernsthaftigkeit und Hingabe bei der Arbeit ans Herz. Etwa wenn man seine verfrorenen Hände sieht, mit denen er beim Morgengrauen an einem Strand in Neufundland Steine schichtet.

Wilfried Hippen

„Rivers and Tides“ läuft täglich in der Originalfassung mit Untertiteln im Atlantis um 15.30 u. 17.30 Uhr, sowie Do-Di. um 19. 15 Uhr